Am nächsten Morgen habe ich beim Aufwachen ungefragt eine Nachricht mit einem animierten Pimmelbild auf meinem Telefon. Der Hirte von gestern stellt dazu die Frage, ob solche Bilder mir auch den Morgen versüßen würden … Ich packe mein Zeug zusammen und möchte relativ schnell wieder weg – es ist gerade einmal 6:30 Uhr, und ich habe kein Interesse an Konversation. Als ich das Motorrad starte und gerade aufsteige, sehe ich ihn schon am Ende des Weges auf seiner Mofa. Zu spät, mein Bester.
Die Landschaft ist sehr schön – alles liegt im Morgendunst, die Sonne versucht, sich ihren Weg zu bahnen – ich bin froh, dass sie es noch nicht richtig schafft … LOL. Ich fahre auf relativ kurvigen Straßen (ganz schön ungewöhnlich) durch Maisfelder, Felder mit Sonnenblumen und Felder, die einfach unter Wasser stehen. Es ist ein wunderschöner Morgen.





Nach circa 30 km sehe ich die ersten Dünen am Horizont, und ich nutze die Gelegenheit, im Schatten eines gigantischen Schildes kurz anzuhalten – für eine Pipipause und um mich zu orientieren, denn hier links geht eine Piste Richtung Dünen, und ich könnte mir das ganz gut vorstellen, da mal lang zu fahren.
Hab ich gestern noch geschrieben: Ich vertraue auf mein Glück – ihr wisst schon, bezüglich des Werkzeugs und insbesondere der Reifenheber (das sind längere Metallstücke, mit denen man den Gummireifen von der Felge des Motorrads hebeln kann, um bei einer Panne den Schlauch zu wechseln. Ein bisschen wie beim Fahrrad, nur eben schwerer).
Nun habe ich alles erledigt, was ich erledigen musste und wollte, komme zurück zum Motor und denke mir noch: Huch, der Sand ist aber weich. Der Reifen steht ja tief im Sand. Diesen naiven Gedanken hatte ich allerdings auch nur ein bis zwei Sekunden, denn es war relativ schnell klar, dass der Reifen massiv an Luft verloren hat.
Im ersten Moment habe ich mir meinen Helm aufgesetzt, Handschuhe angezogen und wollte zurück zum letzten Dorf fahren. Ich hatte nämlich keine Idee, wie ich da wegkommen sollte – mein Werkzeug hatte ja jetzt einen neuen Besitzer. Ich konnte mir also nicht helfen wie ursprünglich geplant. Denn Flickzeug und Ersatzschlauch habe ich alles dabei … Mein Versuch loszufahren hat genau fünf Meter funktioniert – das Motorrad ist so nicht fahrbar.
Viele Telefonate, sehr viele nette Menschen, die sich für einen engagieren und versuchen zu helfen – und am Ende stellt sich heraus, dass mit der Motorrad-Haftpflichtversicherung ein Schutzbrief verbunden ist. Ich warte also auf den Abschlepper.
Vor dieser glücklichen Wendung mit der Versicherung habe ich versucht, vorbeifahrende Autos anzuhalten und um Hilfe zu bitten. Der erste stoppte auch gleich, schaute mich aus dem offenen Fenster seines VW Passats an, und ich hoffte insgeheim: Oh, der fährt ein deutsches Auto – der wird einem Deutschen auf jeden Fall helfen … Aber außer einem “Hallo” hat er gar nichts gesagt, und als ich mit meiner Erklärung meines Problems halb durch war, rollte der Wagen langsam an, wurde immer schneller – und der Mann fuhr einfach weg, ohne ein weiteres Wort.
Es gab aber auch andere Beispiele. So fuhr ein LKW vorbei – (erst viel später habe ich realisiert, dass es sich um einen LKW-Pannen-Reifendienst handelte). Er fuhr an mir vorbei, als ich gerade telefonierte, sah mich – und kam zurück. Er wollte helfen. Ich konnte ihn nicht verstehen, er mich auch nicht, denn sein lokaler Dialekt war sehr stark. Also wieder einen lieben Menschen am Telefon um Übersetzung bitten. Nach vielem Hin und Her war er sich nicht sicher, ob er wirklich helfen kann – und passendes Werkzeug hätte er ja auch nicht dabei. Aber die Geste zählt, denke ich.
Jetzt finde mal in einem verschlafenen Nest in der Inneren Mongolei einen Reifendienst, der Motorradreifen kennt. Wir kommen in der Stadt an und halten bestimmt bei zehn Geschäften, an denen alle augenscheinlich das richtige Werkzeug haben (ich sehe es!), aber alle machen die chinesische Variante einer Siesta. Alle Leute, die wir treffen, liegen irgendwo verschwitzt (es ist sehr heiß) herum, und keiner hat Bock, irgendwas zu machen. Ich bin relativ genervt davon und auch ein bisschen am Zweifeln, ob das überhaupt was wird hier. Ich beschließe dann, mit in die Geschäfte hineinzugehen und einen auf hilflosen Ausländer zu machen. Das hilft im ersten Geschäft nur halb, aber hier bekommen wir den wichtigen Tipp! Die kleine Werkstatt, die wir dann aufsuchen, ist genau die richtige. Der Mann ist super nett und absolut kompetent. Reifen ist schnell gewechselt – er will 30 Geld dafür haben, umgerechnet gut 4,20 €.
Ich irre noch ein bisschen mit dem Motorrad durch die Stadt, auf der Suche nach einem geöffneten Restaurant – auch die scheinen alle am späten Mittag Siesta zu machen. Kaufe noch Wasser und fahre dann los.








Es ist schon relativ spät, und ich denke nicht, dass ich noch sehr weit kommen werde. Ich fahre ein Stück den Weg zurück, den ich mit dem Abschleppwagen gekommen bin, um dann einen auf dem Satellitenbild vielversprechenden Track zu fahren. Die Zeit hat aber die Luftaufnahmen überholt, und der Track ist mittlerweile eine nagelneue Straße – die glücklicherweise noch kaum jemand zu kennen scheint.
Ich fahre alleine mitten durch die Wüste, vorbei an Farmen und Schafshirten. Wunderschön! Am Horizont sehe ich schwere, sehr dunkle lila bis schwarze Wolken, und ich hoffe, dass ich an diesem Unwetter vorbeikommen kann. Auf einmal – es ist blauer Himmel, und die Sonne scheint – prasseln megafette Wassertropfen auf mich nieder. Ich hätte auch unter einer landwirtschaftlichen Beregnungsanlage oder einem Feuerwehrschlauch stehen können. Keine Ahnung, woher das kam.
Es ist Zeit, einen Zeltplatz zu suchen. Irgendwann finde ich einen kleinen Pfad mit einer einzelnen Autospur. Ich biege links ab in die Dünen. Der Sand ist extrem weich, die Vegetation karg. Ich kämpfe mich ungefähr einen Kilometer in die Landschaft hinein. Es macht megaviel Spaß – ist aber auch unfassbar anstrengend.
Als ich denke, einen schönen Zeltplatz gefunden zu haben, stelle ich die Maschine ab und ziehe meine verschwitzten, schweren Klamotten aus. Es dauert aber keine zehn Minuten, bis aus dem blauen Lüftchen ein veritabler Sturm wird, der sehr viel Sand mit sich trägt. Ich ziehe mir meine Motorradklamotten wieder an, setze meinen Helm und die Motorradbrille auf – sonst hätte ich nichts sehen können. Mein Zelt würde so nie halten in dem weichen Sand. Ich beschließe also relativ spät am Abend – es sind nur noch 30 Minuten bis Sonnenuntergang – in die nächste Stadt zu fahren.
Die Frage ist: Fahre ich in meiner Reiserichtung weiter und komme in einem kleinen Kaff an – wo nicht sicher ist, ob es Hotels gibt? Oder fahre ich in die nächstgrößere Stadt, wo ich definitiv ein Hotel finde, die aber in entgegengesetzter Richtung liegt?
Ich mache Letzteres. Denn ich möchte schlafen.
Wieder auf der Straße denke ich noch: Huch, das riecht aber morkig – ich hab mir bestimmt nichts Gutes für die Kupplung getan. Ich schaue aufs Handy für den Weg … und das Handy ist weg. Ich muss es auf der sonnigen, weichen Strecke verloren haben. Kurze Panikattacke!! Keine SIM-Karte, kein Handy – alles regelbar, aber extrem scheiße.
Ich beschließe, langsam zurückzufahren – ganz doofe Idee, im Sand mein Telefon zu suchen. Ich bin zurück an meinem Zeltplatz und hab bisher nichts gefunden. Es riecht immer noch geschmort. Ich denke, meine Kupplung wird das nicht lange aushalten – dabei lasse ich die gar nicht schleifen. Was ist da los?!
Mein Geistesblitz: Meine Sportuhr hat eine Funktion, mit der sie anhand der Stärke des Bluetooth-Signals die Peilung des Telefons aufnehmen kann. Ich starte diese Funktion – und es scheint nicht zu funktionieren. Der Signalpegel ist im grünen Bereich, was bedeutet, das Telefon ist im Grunde in meiner Jackentasche. Ist es aber nicht.
Ich laufe ein wenig um das Motorrad herum, und es scheint sich herauszustellen, dass das Telefon irgendwo in der Nähe des Motorrads ist. Ich suche also im Sand, buddle hier, scharre dort – keine Chance. Kein Telefon. Der Geruch macht mich wahnsinnig! Ich gehe also ans Motorrad und schnuppere, woher er kommt.
Fündig werde ich am Motorkopf – direkt auf dem heißen Abgaskrümmer. Das Telefon ist vom Armaturenbrett, also von der Halterung am Lenker, heruntergefallen und so glücklich (oder unglücklich) gelandet, dass es sich im Motorblock verfangen hat. Die Handyhülle schmort und stinkt, und das Telefon gibt Hitzealarme aus. Ich nehme es aus der Hülle, verbrenne mich fast und werfe es in den Sand – der ist immerhin kühler als der mehrere hundert Grad heiße Krümmer. Was für ein Glück! Das Telefon scheint zu funktionieren.
Ich fahre ins Hotel – sah in der App sehr schön aus, in der Realität komplett abgerockt. Mir egal. Ich wasche ein paar Klamotten, gehe glücklich, aber erschöpft ins Bett.
Gute Nacht – was für ein Tag!






Stationen in der Region (Grün = Weg bis zur Panne; Blau = Weg in die Wüste; rot = schnell ins Hotel.)
Für diese Etappe war ich für die Navigation bestens vorbereitet. Für den Wüstenabschnitt – der sollte eigentlich viel weiter nach Süden gehen – hatte ich mir Satellitenbilder offline auf dem Telefon gespeichert. Den Track habe ich mir in Handarbeit auf Satellitenbildern herausgearbeitet. Dann stellt sich einfach heraus, dass der größte Teil der Strecke asphaltiert wurde und alle Abzweigungen, die ich auf dem Satellitenbackbildern hatte, ging tief in die Dünen hinein. Das ist alleine, am Abend, mit aufziehenden Gewitter keine Option.
Unfassbar!😱🙈
Ernsthaft, da guckt man sich die Videos auf YouTube an, um zu wissen, wie man die Reifen im Gelände ohne Werkstatt wechselt oder repariert und dann nützt letztendlich ohne Werkzeug alles nichts.