Sagt man doch so, wenn man wartet bis Schlechtwetter vorbeigezogen ist, oder?
Als ich am Morgen aufwache, sieht das Wetter ganz versöhnlich aus und so beschließe ich, die gut 450 Kilometer lange Strecke heute auf der Autobahn zu fahren – vorbei am Schlechtwettergebiet. Bei der Nässe ist im Gelände ohnehin nicht an Fahren zu denken, das Sturzrisiko auf nassem Lehmboden ist einfach zu hoch. Die Frage der Streckenwahl ist damit geklärt.
Die zweite große Unbekannte: mein Stromproblem – oder besser gesagt das spontan verschwundene Stromproblem. Ist es dann überhaupt noch ein Problem 😆? Am Abend im Hotel stelle ich fest: definitiv hat meine Powerbank etwas damit zu tun. Sobald sie vom Ladekabel abgezogen wird, geht sie einfach aus.
Unmittelbar ergeben sich folgende To-dos: 1. Tanken, 2. Powerbank organisieren, 3. Regenkombi auftreiben.
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Man könnte glatt die Frage in den Raum stellen: Was machen die betankenden Menschen eigentlich beruflich? Ich sag ja immer: Bitte langsam, bitte vorsichtig – ach, lassen Sie es mich doch lieber selbst machen … Aber natürlich: das ist mit der Berufsehre nicht vereinbar. Also probiert es jeder selbst. Mein Motorrad hat drei Tanks und bislang hat es bei jedem Tankvorgang an einem der drei Tanks einmal einen ordentlichen Schwupps daneben gegeben– auf die Sitzbank, an das Gepäck oder einfach nur in Richtung des heißen Abgaskrümmers. Blitzbirnen.
Der freundliche Typ von der Rezeption, mit dem ich gestern schon meine Registrierung abgewickelt habe, hilft mir heute dabei, mein Batterie-to-do anzugehen. Er telefoniert ein wenig herum und zeigt mir schließlich auf der Karte, wo ich Glück haben könnte. Nach dem Tanken schaue ich dort vorbei. Der Laden hat wirklich alles – nur leider keine passende Batterie für meine Zwecke. Also mache ich erst mal mit meinem aktuellen Setup weiter und hoffe auf regelmäßigen Strom – wenigstens während der Fahrt. Eine Regenkombi finde ich übrigens nicht.
Wieder zurück am Hotel belade ich mein Motorrad. Während ich das tue, stellt natürlich jeder, der vorbeikommt, diverse Fragen. Auch der Mann von der Rezeption ist interessiert dabei – und man palavert. Ich muss zugeben: weitestgehend über meinen Kopf hinweg (我听不懂). Es geht um mich, das Motorrad, meine Reise – und irgendwie auch um Deutschland. Ich bin mit Packen fertig, für mein Dafürhalten. Als der Rezeptionist sieht, wie ich meine Latschen hinten am Gepäck befestige, wird er plötzlich nervös. Er meint: „Die verlierst du.“. Ich sage: „Das passt schon.“. Als ich kurz darauf mit Getränken aus dem Laden nebenan zurückkomme, sind meine Schuhe mit einem zusätzlichen Band gesichert. Er konnte offenbar nicht widerstehen. Ich danke ihm sehr freundlich für die ganze Hilfe während meines Aufenthaltes.
Die ersten 50 Kilometer meiner heutigen Fahrt – insgesamt etwa 450 – verlaufen regelrecht schön. Doch nach der Mittagspause erwischt mich eine richtig fette Regenklatsche. 25 °C – und jeder einzelne Zentimeter meines Körpers ist komplett durchnässt. Ich beginne zu frieren. Dramatisch kalt war mir! Mein Wanderponcho hilft etwas. Ich habe das riesige Ding einfach unter die Jacke gestopft – der Wind bleibt so immerhin größtenteils draußen. Ich sah vermutlich aus wie ein Michelin-Männchen 🫣. Als ich in der Stadt Baotou ankomme, bin ich völlig kaputtgespielt.
In meinem Zimmer stelle ich die Klimaanlage auf 30 °C Heizung – auf eine warme Dusche verzichte ich. Wasser will ich grad nicht mehr sehen. Meine Füße haben eine ulkige, weißliche Farbe. Vermutlich ist die Haut einfach nur extrem aufgequollen.









Ich denke mir, dass es ganz gut wäre, den Ölwechsel jetzt hier zu machen, während ich auf besseres Wetter warte. Einen offiziellen Händler gibt es hier nicht, und so richtig kommunizieren kann ich mit den anderen Werkstätten auch nicht. Ich suche mir also eine Werkstatt raus, von der ich weiß, dass sie Verbrennungsmotoren kennt. Dann frage ich meinen Kumpel Max, ob er mit denen klären kann, ob es okay wäre, dass ich einfach nur ihr Werkzeug benutze, während ich Öl und Filter mitbringe. Das Öl (und eine Powerbank) bestelle ich – es soll am nächsten Tag da sein. Zwischendurch kommt fix die Nachricht von Max, dass die Werkstatt überhaupt kein Problem sieht – und Geld wollen sie dafür auch nicht. Honda eben 👌🏼.
Meine Versuche die Stadt zu erkunden breche ich ab, nachdem ich die langweilige Umgebung des Hotels gesehen habe. Lieber schreibe ich ein bisschen für den Blog und kümmere mich um die Planung der Route für die nächsten Tage. Einmal versuche ich es noch mit der KI, aber das läuft genauso doof wie zuvor. Ich benutze also auf dem einen Gerät eine Straßenkarte, und auf dem anderen Gerät schaue ich auf Satellitenbilder. Davor suche ich nach weitestgehend parallel zu den Hauptstrecken verlaufenden Pisten oder zumindest kleinen Straßen.








Es ist Tag zwei, und meine zugesagte Lieferung kommt nicht an! Ich verlängere also das Hotel um noch einen Tag. Mein Zeitplan für morgen – früh zur Werkstatt zu fahren – ist jetzt eigentlich schon wieder hinfällig.
Irgendwann am nächsten Vormittag ruft mich der Fahrer vom Lieferdienst an. Ich verstehe nur wenig. Unten an der Rezeption frage ich, ob man ihn mit meinem Handy zurückrufen könne. Ergebnis: Irgendetwas ist schiefgelaufen (ja danke, habe ich auch noch nicht gemerkt!), und die Lieferung würde heute im Laufe des Tages, eher gegen Abend, nachgestellt werden. Während die Rezeptionistin nun versucht Dinge zu klären, sehe ich in der App, dass der Fahrer eigentlich nur 500 m entfernt zu sein scheint. Ich beschließe, ihm einfach hinterherzulaufen. Ziemlich doofe Idee, wenn man überlegt, wie groß die Gebäude sind und wie schnell er unterwegs ist. Aber irgendwie schaffe ich es doch, ihn zu finden – und er gibt mir meine Pakete. Es ist erst 10:00 Uhr! Ich bin nur leicht verspätet wieder im Rennen!
Um elf bin ich bei der Werkstatt. Nach anfänglicher Verwirrung lässt man mich vor der Werkstatt an meinem Motorrad arbeiten. Das läuft super! Das Einzige was nicht so schön ist, ist die Tatsache, dass man mir meinen gesamten Werkzeugbeutel geklaut hat – den hatte ich zum Trocknen in die Sonne gelegt, etwa 10 m entfernt an der Ecke des Werkstattgrundstücks. Gelegenheit macht halt im Grunde überall Diebe, wenn nicht drei bis fünf Kameras jeden Winkel der Umgebung abfilmen. Offiziell war das nur ein verwirrter Schrottsammler … aber mal ehrlich: Im Grunde bin ich selbst schuld – auch in Deutschland hätte ich den Beutel so nicht dort hingelegt. Kurz überlege ich, neues Werkzeug zu kaufen, aber das ist sinnlos, weil mir das Hauptwerkzeug – die Reifenheber – fehlen würden, um eine Reifenpanne zu reparieren. Ich vertraue auf mein Glück und gehe lieber etwas essen.
Am Ende des Tages schaffe ich dann gerade einmal 65 km und bleibe für die Nacht an den Ufern des Gelben Flusses stehen. Dachte ich, ich hätte die einsamste Stelle in China gefunden – es ist mal wieder bemerkenswert busy, wie viele Menschen an einem völlig abgelegenen Ort durch die Gegend laufen oder mit kleinen Wägelchen herumfahren. Irgendwann kommt eine Bäuerin mit ihrem Elektrodreirad an mir vorbei – auf der Ladefläche hat sie bestimmt zehn Lämmer.
Etwas später, so etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang, kommen dann in Abständen von ein paar Minuten Hirten mit ihren Ziegen vorbei. Allen erkläre ich, dass ich ein deutscher Reisender bin und dass ich ihre Herde sehr, sehr schön und beachtlich groß finde. Alle freuen sich und ziehen ihres Weges – außer dem Letzten der Prozession. Er ist so begeistert von meinem Bart und von Deutschland, erzählt mir, dass seine Kinder in der Schule Deutsch lernen, und will ständig meinen Bart anfassen. Irgendwann gebe ich ihm zu verstehen, dass ich jetzt mein Zelt weiter aufbauen möchte – sonst würde das ja alles zu dunkel werden. Er sagt, ich müsse mit zu ihm kommen. Seine Frau würde sich freuen, und außerdem sei der Platz hier ohnehin nicht gut – im Zelt würde man sowieso nicht gut schlafen. Dennoch zieht er von dannen.
Quasi zeitgleich bricht die Hölle los – in Form von Moskitos. Ja, ich war tatsächlich überrascht, dass an einem Flussufer mit Brackwasser so viele, so dermaßen viele Moskitos in einen maximal aggressiven Angriffsmodus gehen. Auf meinen Handrücken saßen ständig jeweils 5 bis 15 Tiere, genauso sahen meine Arme aus. Anti-Mückenspray? Da haben die nur drüber gelacht. Ich rette mich ins Zelt, bringe die letzten Mücken um und will schlafen.
Da kommt eine Mofa angefahren – der Hirte von vorhin. Er bringt mir zwei riesige, warme, gekochte Eier – vom Emu oder Strauß – und eine ganze Melone. Seine Frau sendet Grüße und möchte, dass ich zum Essen komme. Ich bedanke mich und lehne höflich ab. Als Gegengeschenk überreiche ich ihm zwei Müsliriegel – einen für ihn, einen für seine Frau. Wir quatschen eine ganze Weile – nutzen dabei WeChat für die Übersetzung. Zwischenzeitlich esse ich einen Großteil der einen Melonenhälfte.
Als er dann wieder an meinen Bart will – ernsthaft, wortwörtlich – und mir ein wenig zu grabbelig wird, beende ich unsere Unterhaltung mit dem Hinweis auf meine Müdigkeit und die morgige lange Fahrt. Zum Abschied will er mich umarmen. Ich denke mir: naja, so schlimm kann es ja nicht sein – ein circa 70-jähriger, gepflegter Herr … Dann aber reibt er sein ganzes Gesicht in meinem Bart und den Rest seines Körpers an mir. Ja, ich glaube, er will mehr. Meine Güte, das kam unerwartet! Ich schick ihn weg.












On the Road | Do., 24.07. | So., 27.07. |
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Strecke | 440 km (blau) | 65 km (grün) |
Zeit insgesamt | 7 h 30 min | 3 h 08 min |
Zeit in Bewegung | ||
Ø-Geschwindigkeit | 60 km/h | 21 km/h |
Höhenmeter bergauf | 2.104 m | 113 m |
Höhenmeter bergab | 2.325 m | 151 m |
Höchster Punkt | 1.622 m | 1.061 m |
Tiefster Punkt | 998 m | 1.007 m |
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Schon creepy mit dem altern Herrn🙈😁, ich habe aber herzlich gelacht beim Lesen!😂
Ja, im Nachhinein nur kurios. Würde auch herzlich lachen 😆