Halb sechs klingelt der Wecker – ich habe einen frühen Flieger gebucht. Heute treffe ich Wiebke in Xining, der Provinzhauptstadt von Qinghai. Wir werden zwei Wochen schön gemütlich mit dem Wohnmobil einen Sprachkurs-Roadtrip machen.
Wiebkes Flieger landet erst gegen halb drei, so dass ich erst einmal alleine das Auto abhole, Gas (nur das Gas, kein Feuerzeug) zum Kochen kaufe und dann Wiebke am Flughafen einsammle. Danach fahren wir zurück in die Stadt, kaufen ein bisschen was ein und futtern was. Ganz wichtig: Ich brauche unbedingt eine Sonnenbrille. Das Licht ist gleißend hell, ich halte es beim Fahren kaum aus – mein Gesicht ist verkrampft wie eine geballte Faust 😆.
Aus der Stadt raus fahren wir einige Kilometer und finden an einer kleinen, zu einer Klosteranlage führenden Nebenstraße ein schönes Plätzchen zum Übernachten. Wie so oft in China: denkst du, du hast den ruhigsten Platz der Region gefunden, wird es einige Zeit später noch richtig bunt. Ziegen, Hirten, Autos und kleine LKW… Aber kurz nach dem Sonnenuntergang wird es dann meist sehr ruhig.













Heute ist Sonntag, und am Morgen steht noch kein Sprachkurs an. Wir frühstücken erstmal ausgiebig – der leckere, aber stark gesüßte Joghurt vom kleinen Joghurt-Lädchen wird zusammen mit den Trauben und der kleinen Mango eher zu einem Dessert mit Müsli. Sehr lecker, aber kein Frühstück für jeden Morgen.
Unsere Strecke führt uns am Qinghai-See vorbei – Chinas größtem See (etwa 4.300 km²). Tatsächlich ist er so groß, dass uns das Gefühl, an einem See zu sein, verloren geht. Man fährt wie an einer Binnenmeerküste entlang. Skurrile Beobachtung: an keiner Stelle gibt es Zugang zum Ufer. Der gesamte Bereich ist per Zaun abgesperrt und wird als Weide genutzt. Es stehen sogar in kurzen Abständen Wachen herum, die falsch parkende oder im Versuch, über einen Zaun zu klettern, ertappte Touristen verweisen. Sicher eine Mischung aus dem typischen chinesischen Tourismus, der oft nach Crowd-Control aussieht, und dem Schutz der landwirtschaftlichen Flächen am Ufer. So oder so: der Reiz des Sees hält sich in Grenzen.
Wir haben noch eine Kartenmarkierung bekommen, die uns in eine schöne bergige Region führen soll – im Kontrast zu den weichen, gewellten Graslandschaften hier am See eher schroffer Fels. Wir fahren hin. Wollen das zumindest, kehren aber an einer Brücke um, die wegen Bauarbeiten gesperrt ist. Die Wartezeit ist unklar, selbst Einheimische wenden. Wir versuchen es über eine kleine Seitenstraße, die angeblich zu einer Scenic Area führen soll. Der Zustand der Beschilderung und der Straße lässt vermuten, dass deren beste Jahre längst vergangen sind. Die Straße endet vor einem Tor, und die Scenic Area erreichen wir nie. Sackgassen in China – auch eine immer wiederkehrende Erfahrung. Quasi doppelt erfahren…
Während unserer Fahrt durch die schönen, hügeligen Graslandschaften sehen wir immer wieder recht große Murmeltiere, die sich, sobald sie unser Auto bemerken, schnell davonmachen. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob Wiebke mir da nicht einen Bären aufgebunden hat: Sie behauptet, die anderen kleinen, süßen, hamstergroßen Tierchen, die wir zu Dutzenden sehen, heißen „schwarzlippige Pfeifhasen“. Sie mögen offenbar den warmen Asphalt und sind nicht gerade die Reaktionsschnellsten… So liegt eine Hälfte der von uns gesichteten Tierchen plattgequetscht von Autoreifen auf der Straße.
Die Landschaft jedenfalls ist sehr schön, insofern war es trotzdem keine vertane Zeit. Es ist erst 14 Uhr, und wir entscheiden, noch ein wenig weiterzufahren. Unser nächstes Ziel ist etwas mehr als 500 km entfernt, und es gibt nur eine Straße – eine Mautstraße, gebaut durch spektakulärste Wüstenlandschaft!
Irgendwann wird es spät, und ein Stellplatz wird nötig. An einer Scenic Area bei einem See werden wir schon vom Parkplatzpersonal irgendwie unfreundlich des Geländes verwiesen – sehr verscheuchende Handbewegung und der Kommentar zum Kollegen: „Die verstehen schon wieder nix.“ Wir gehen dennoch zur Kasse. Dort wird uns zu verstehen gegeben, dass wir heute und auch morgen keine Tickets erwerben dürfen. Verstehen tun wir die Details der Erklärung nicht – irgendetwas mit ausländischen Soldaten, sagt unsere Übersetzungsapp. Wir tun das als kuriose Erfahrung ab und vermuten, dass irgendwie Militär im Spiel ist. Naiv, wie sich am nächsten Tag zeigen wird!
Jetzt fahren wir erstmal ein paar Kilometer weiter in eine auf dem Satellitenbild vielversprechend aussehende Straße hinein. Und wirklich: toll! Nach einigen hundert Metern buckliger Schotterpiste stehen wir in der Wüste, sehen Antilopen (!!) – und werden von Mücken regelrecht gefressen. Wo kommen die denn nun schon wieder her?! In der Umgebung sind immer wieder kleine Tümpel. Außerdem fallen einem viele Ausspülungen im Gelände auf – hier war beim letzten Regen richtig viel Wasser unterwegs. Weiter oben am Hang sieht man zudem einen Staudamm. Wenn der extrem viel Wasser ablässt, landet das sicher auch hier.
Die Wetter-App sagt keinen Regen voraus, meldet aber eine Wetterwarnung der lokalen Behörden: starke Konvektion. Die Warnung ist gelb (es gäbe noch orange und rot) und somit ernst zu nehmen. Irgendwann zieht der Himmel mit schweren Wolken zu, der Wind frischt auf – gut gegen die Mücken… hahaha. Spaß beiseite – wir parken um. An der Hauptstraße finden wir an einem Truck-Stopp ein ruhiges Eckchen. Die an- und abfahrenden LKWs sind nicht wirklich störend, und insbesondere für mich überwiegt der positive Effekt, den Kopf frei zu haben von der Sorge vor plötzlichen Überschwemmungen, massiv. Dort, wo wir zuvor standen, könnte Wasser ganz leise angeschwemmt kommen – ohne das geringste Geräusch zu machen …
Gute Nacht 💤.
Starke Konvektion – was das Internet sagt (👈🏻 hier klicken)
Was bedeutet die Meldung?
- „强对流黄色预警“ = Gelbe Warnstufe für starke Konvektion
→ mittlere Stufe (es gibt blau–gelb–orange–rot in China). - Zeitfenster: 17.08., 18:00 Uhr – 18.08., 05:00 Uhr (Ortszeit) = heute Abend bis morgen früh.
- Gefahrenschwerpunkte:
- Starkregen: 20–30 mm pro Stunde, lokal über 35 mm/h
- Sturmböen ≥ Stärke 8 (~60–75 km/h)
- Hagel ≥ 5 mm
- Folgen: erhöhtes Risiko für Muren, Hangrutschungen, Überschwemmungen, Hagelschäden und Blitzschlag.
Warum siehst du aktuell nur Wolken, aber keine „Gewitterzeichen“?
- Du befindest dich auf ~3000 m Höhe im Hochland von Qinghai.
- Dort ist die Luft dünner und trockener, daher entstehen die klassischen Gewitterstrukturen (Amboss, Walze, grünlicher Schimmer) nicht immer so ausgeprägt wie im Flachland.
- Die Warnung basiert auf Satelliten- und Radarprognosen für die kommenden Stunden – die gefährlichste Phase ist laut Meldung erst ab etwa Sonnenuntergang bis in die Nacht.
- Tagsüber können Wolken harmlos wirken, abends/nachts kippt die Lage schnell, oft ohne große Vorzeichen.
Für dich konkret in Haixi, Qinghai:
- Auch wenn deine Apple-App keinen Regen meldet, ist die offizielle Provinzwarnung wichtiger → dort wird ein hohes Risiko für dein Gebiet ausgewiesen.
- In bergigen Regionen wie Qinghai gilt:
- Gewitter können sehr lokal sein (ein Tal trocken, das nächste überschwemmt).
- Plötzliche Starkregen in der Nacht sind gefährlich, weil man sie nicht kommen sieht.
Handlungstipps bei gelber starker Konvektionswarnung (3000 m, Gebirge):
- Falls du draußen bist und Wind plötzlich stark auffrischt oder erste Tropfen/Hagel fallen → sofort Schutz suchen, da dann die Zelle schon da ist.
- Suche heute Abend einen sicheren Aufenthaltsort (Gebäude, nicht Zelt oder Fahrzeug am Hang).
- Meide Fluss- und Bachläufe → dort besteht Gefahr von Sturzfluten, auch wenn bei dir kein Regen fällt.
- Meide steile Hänge → Muren und Steinschlag möglich.
- Elektrische Geräte & Metall meiden bei Gewitter (Blitzschlag!).Elektrische Geräte & Metall meiden bei Gewitter (Blitzschlag!).



















Für den Sprachkurs und das Frühstück fahren wir zurück zu unserem schönen Wüstenspot. Während wir dort so stehen, wird über die Piste eine Reihe ungewöhnlicher Dinge transportiert. Wir sehen: ein Toilettenhaus auf einem Tieflader, einen Wüstenbuggy auf einem Abschleppwagen – und sogar einen Krankenwagen. Ansonsten ballern noch jede Menge Geländewagen und Pick-ups in einem regelrechten Geschwindigkeitswahn über die bucklige Piste. Safety thru speed!
Irgendwann, nach einigen Kilometern auf dieser tollen Mautstraße, werden wir in eine Polizeikontrolle gewunken. Die Straße führt am Ende bis nach Tibet, und man möchte wohl wissen, wer hier so unterwegs ist. Als der junge Polizist uns dann sieht und ich mein kleines Sätzchen aufsage („Deutsch, wir reisen, blablabla“), dürfen wir aus der Warteschlange ausscheren und einfach weiterfahren.
Nächste Mautstation, nächster Polizeicheck – eigentlich werden nur Flugblätter mit Sicherheitshinweisen an die vielen Autofahrer verteilt (Perlen vor die Säue, meiner Meinung nach). Aber unser Kennzeichen wird akribisch mit dem Handy abgeglichen. Natürlich geht man im Kopf sofort diverse Szenarien durch, warum wir jetzt plötzlich von Interesse sein sollten. Den genauen Grund werden wir nicht erraten. Vorweg: die gestrige Erfahrung vom Besuch am See wird sich aufklären. Auch, ob wir an unserem schönen Wüstenspot hätten sein dürfen, werden wir erfahren. Nur, warum uns der junge Polizist am vorigen Checkpoint trotzdem einfach durchgewunken hat, bleibt ein Rätsel.
Wir müssen das Auto am Rand parken, und sofort werden Absperrhütchen darum verteilt – es wirkt, als würden wir gerade offiziell zum Inventar umfunktioniert. Uns wird zu verstehen gegeben, dass wir uns bereits jetzt – und unser eigentliches Ziel insbesondere – in einem für Ausländer gesperrten Gebiet befinden. Man zeigt uns sogar den entsprechenden Gesetzestext, ins Englische übersetzt. Der liest sich fürchterlich: In schwerwiegenden Fällen mindestens fünf Tage Haft, aber nicht länger als zehn.
Bei dieser Gelegenheit erhasche ich einen Blick auf ein Foto einer der vielen vielen Verkehrskameras. Es zeigt unser Auto und deutlich uns – unschwer erkennbar, dass wir Ausländer sind. Als kleiner Nerd komme ich nicht umher zu überlegen, wie man es machen würde. Bei potentiell zehntausenden Autos wäre es am effizientesten, eine KI nach nicht ethnisch passenden Gesichtern suchen zu lassen.
Wir versprechen, die Route zu ändern und das Gebiet auf direktem Wege zu verlassen. Das neue Ziel und unser Plan insgesamt scheinen okay. Dennoch sollen wir warten – etwa 20 Minuten, heißt es, denn Polizeibeamte der Einwanderungsbehörde seien unterwegs. Kommen wir hier noch mit einem blauen Auge davon? Oder haben wir den insgesamt höflichen Ton vielleicht falsch interpretiert – und bekommen für die nächsten fünf Tage eine Unterkunft mit gesiebter Luft gestellt?
Die deutlich formeller auftretenden Beamten der Einwanderungsbehörde sind da. Uns wird sogar die Dienstmarke präsentiert. Das Gespräch – wir bitten darum, vollständig mit Übersetzungsprogramm zu arbeiten – wird spürbar ernster. Es wird auch klar, dass wir hier ganz dem Ermessen der Beamten unterliegen. Der letzte übersetzte Text weist uns eindringlich darauf hin, dass wir diesen Bezirk UNVERZÜGLICH verlassen müssen. Und um das sicherzustellen, werden wir per Fahrzeug – Polizeibegleitung mit Blaulicht – aus dem gesperrten Bereich eskortiert.
Puh. Das stresst mich. Ehrlich gesagt will ich solche Erfahrungen nicht machen müssen. Ich bekomme einen kleinen Einblick in Wiebkes Arbeitswelt…
Der Polizeiwagen ist für gute 80 km hinter uns. Als die Eskorte außer Sicht ist, fahren wir zum größten Salzgebiet Chinas. Hier wird von Speisesalz bis hin zu Lithiumsalz alles mögliche abgebaut. Der erste Eindruck mit den gigantischen Industrieanlagen ist eher abschreckend. Es ist brutal grell, heiß – und voll mit Menschen. Wir machen es trotzdem. Der Shuttlebus bringt uns nach 20 Minuten Fahrt an eine wirklich schöne Stelle des Gebiets. Das Wasser schimmert, das Salz funkelt. Ein Traum für alle Instagram-Fans! Aber auch so ganz schön anzuschauen 😁.
Am Abend stehen wir in der Nähe eines Wasserparks. Laut allwissendem Internet sollte es dort einen Campingplatz geben – und wir dachten, wir stellen uns einfach dazu. Aber das muss lange her sein. Alles ist verlassen und „verrottet“.













































On the Road | Sa.,16.08. | So., 17.08. | Mo., 18.08. |
---|---|---|---|
Strecke | 175 km (blau) | 563 km (gelb) | 322 km (grün) |
Zeit insgesamt | |||
Zeit in Bewegung | 4 h 34 min | 9 h 34 min | 7 h 42 min |
Ø-Geschwindigkeit | 38 km/h | 59 km/h | 42 km/h |
Höhenmeter bergauf | 1.936 m | 1.997 m | 1.600 m |
Höhenmeter bergab | 769 m | 2.617 m | 1.594 m |
Höchster Punkt | 3.523 m | 3.691 m | 3.789 m |
Tiefster Punkt | 2.124 m | 2.815 m | 2.673 m |
Höhenprofil | Höhenprofil | Höhenprofil |
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