Nachdem wir gestern unsere Reiseroute spontan ändern „durften“, sind wir dennoch guter Dinge, hier in der Provinz einen schönen Roadtrip hinzubekommen. Alternativ fahren wir den Kunlun-Pass an. Er gehört zu einem Gebirgszug, der sich über gut 3.000 Kilometer erstreckt.
Auf dem Weg besorgen wir Wasser und tanken voll. Déjà-vu: aus dem Tank pladdert bestimmt wieder eine Tasse Diesel den Wagen herunter. Ich bin ja nur froh, dass das Motorrad mit Benzin fährt.
Auf dem Weg zur eigentlichen Bergstraße G109 fahren wir im Baustellenverkehr Kolonne. Ich witzle noch, dass ich mit dem Motorrad immer schön an solchen Schlangen vorbeiziehen konnte – noch ahnen wir beide nicht, auf was für eine Tour de Force wir uns hier eingelassen haben. Am Checkpoint der Polizei zum Eingang der eigentlichen Bergstraße dürfen wir natürlich eine Extrarunde drehen. Alles scheint okay, und als ich erkläre, dass wir im Auto schlafen – es ist ja schließlich ein Wohnmobil –, wird auch die eigentlich etwas unangenehme Frage vergessen: wo wir zuletzt geschlafen und uns registriert hätten.
Ich mache es kurz: Wir schaffen heute 127 km Strecke in 6 Stunden und fahren 100 km durch Schamm, Schotter und Baustellen den Berg hinauf, bis wir 60 km vor dem Pass ein Plätzchen für die Nacht finden. Der einzige Lichtblick: ein kurzer Stopp für Snack und Powernap an einem kleinen Stausee.
Für die Nacht stehen wir auf einem schönen Parkplatz mit Panoramaterrasse und Blick auf die 6.000er und ihre vielen Gletscher. Auf der anderen Straßenseite hingegen zieht sich über einen ganzen Berghang ein Militärcamp – mit zahlreichen Fahrzeugen, auch schwerem Gerät. Dorthin zu fotografieren vermeiden wir tunlichst. Wir parken ein wenig versteckt hinter einer hohen Mauer – kein direkter Blick zum Militär. Allerdings liegt dieser Platz mehr oder weniger am Wasserlauf des hiesigen Flusses, nicht wirklich erhöht oder klar abgetrennt. Ich schiebe Paranoia wegen der Unwetterwarnung talabwärts: Sturzfluten nach starken Regenfällen. Die Warnung ist zwar kurz vor Ablauf ihrer Gültigkeit, aber ich kann nicht aus meiner Haut. Als es im Dunkeln stärker zu regnen beginnt, fahren wir ein paar Meter weiter und stellen uns auf höher gelegenes Gelände um.
Als wir an unserem Plätzchen ankommen – immerhin 4.400 Meter hoch gelegen – und uns umsehen, kommentiert Wiebke die dünne Luft in dieser Höhe noch spaßig: „Haha, es fühlt sich ein wenig an wie leicht betrunken.“ Für Wiebke wird es auch so bleiben. Ich dagegen entwickle Anzeichen leichter Höhenkrankheit – mein Kopf dröhnt, und wenn ich liege, spüre ich eine gewisse „Atemnot“. Alles nicht dramatisch, nicht einmal stark genug, um eine Tablette gegen die Kopfschmerzen nötig zu machen. Es reicht aber, dass die Nacht im Versuch, halb sitzend zu schlafen, bei weitem nicht erholsam wird.














































Für den Sprachkurs parken wir noch einmal um. Außer sichtbarem Militär passiert nichts. Der Fluss ist nicht einmal deutlich im Wasserstand gestiegen – es hätte uns also auch keine Schlammflut hinweggerissen. So ist das eben… there is no fame in prevention.
Wir haben die neue Route überprüft: 60 km bis zum Pass – vermutlich wieder fürchterliche Straßen. Dann links auf die G215 abbiegen. Die G109, auf der wir gerade so quälend langsam unterwegs sind, führt nämlich im weiteren Verlauf nach Tibet. Da wollen wir zwar irgendwann unbedingt hin – nur nicht heute. Unsere Navi-App zeigt mindestens eine Straßensperre an. Wenn wir diese Strecke nicht nehmen können, müssten wir den ganzen Weg zurück – davor graut es uns beiden. Mal abgesehen davon, dass wir dann den nächsten Abschnitt unseres Roadtrips abhaken könnten. Verunsichert bitten wir einen Kollegen von Wiebke, für uns zu recherchieren. Kurze Zeit später bekommen wir die Antwort: die Straße ist frei, wir können fahren. Wir sollen uns das aber gut überlegen, denn um dorthin zu gelangen, müssten wir weiter den Highway G109 nutzen, der wegen Bauarbeiten erschwert passierbar ist – das wissen wir ja schon aus eigener Erfahrung.
Mein dumpfer Kopfschmerz von gestern Abend wird zu einer stechend pulsierenden Irritation, sobald ich mich stärker bewege oder der Blutdruck variiert. Laut verfügbaren Dokumenten und Standards zur Höhenmedizin im Internet ist aber alles im grünen Bereich. Beobachten sollte man es trotzdem. Ich bin also beruhigt: nach dem Pass sind wir ja wieder im Tal, und alle Symptome werden abklingen. Schöne Idee…
Wir fahren gute zwei Stunden zum Pass, und die Dinge entwickeln sich wie folgt: wir essen bombastisch gutes Lamm. Zum Essen ist nicht viel zu sagen – schaut euch einfach den Videoclip an. Lecker 😋. Dann stellen wir fest, dass die Sperre der Straße nicht an der Straße selbst, sondern an der Höhe des Autos liegt. Am Abzweig sind diverse Verbotsschilder für große, breite und hohe Autos aufgestellt. Unser Navi kennt die Maße des Autos und auch die Wege, Straßen sowie deren Brücken mit allen Einschränkungen in Höhe und Breite. Wenn wir die Tour mit einem PKW oder Motorrad berechnen lassen, läuft alles sauber durch. Geben wir aber die Maße unseres Campers an, wird es problematisch. Wiebkes Kollege kann aus der Ferne nichts weiter tun, als am Telefon zu übersetzen. Also fahren wir zurück zum Restaurant. Der Besitzer war sehr nett, hat selbst aber auch keine weiteren Infos. Er bietet jedoch an, mit uns mal eben schnell zur Polizeiwache zu fahren – die sollten alle Infos zur Straße haben. Gut, machen wir. Das Gebäude ist offen und verlassen. Keine Polizisten, keine Infos. Kurzerhand telefoniert der Restaurantbesitzer mit seinen Freunden und seiner Familie und findet heraus, dass die Schilder alle alt sind und die Höhenbeschränkungen nicht mehr gelten bzw. die Stellen umfahren werden können. Das klingt erst einmal gut, aber bei einer Streckenlänge von fast 600 km wäre es auch suboptimal, am Ende festzustecken. Wir sind mit den Infos zufrieden, die die Locals haben – los geht’s! Klasse Typ!
Derweil dröhnt mein Kopf dumpf, und dazu gesellen sich bei jeder Bewegung stechende Schmerzen. Ein Niveau, bei dem ich gerne eine Schmerztablette nehmen würde – haben wir aber nicht dabei. Woher später am Tag noch die Gliederschmerzen kommen, keine Ahnung. Mir gehen viele Gedanken durch den Kopf. Vorneweg: wo sind die doofen Tabletten geblieben?! Dann aber auch, wie es weitergeht, wenn meine Beschwerden nicht nachlassen. Denn der Pass war nur der Einstieg in ein Hochplateau: Nicht tiefer als 4.100 Meter wird es auf den kommenden ca. 600 km gehen.
Die Straße ist gut, und die Landschaft phänomenal. Kommt in die Top 10 unserer jemals erlebten Strecken! Die Weite, der Himmel und die vielen Tiere – wir sehen Antilopen, Wildpferde, Murmeltiere, verschiedene große Greifvögel und wieder viele Pfeifhasen, platt und lebendig.
Am Abend stellen wir uns dann – für den Sprachkurs immer auf der Suche nach mobilem Internet – einige Meter von der Straße abgesetzt ins Grün einer Wiese. Weil wir die letzten Tage eigentlich nur im Auto sitzen, gehen wir ein paar Meter durchs Gelände. Das tut uns gut, sind wir doch nach 160 km schlechter Straße im Auto ordentlich muskulär verspannt. Ich fürchte mich derweil vor der atemlosen Nacht… und das ist leider nicht zweideutig interpretierbar.







































Das ist ja hier kein Logbuch für gesundheitliche Beschwerden, insofern nur kurz: Ab vier Uhr in der Früh ging es dann plötzlich. Ich denke, ich habe den nervigsten, spürbaren Teil der Akklimatisierung hinter mir. Beschwerdefrei 😁.
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Die Akklimatisierung ist ein erstaunlicher Anpassungsprozess: sobald wir uns in größere Höhen begeben, registriert der Körper den sinkenden Sauerstoffdruck. Fast sofort reagiert er mit schnellerer und tieferer Atmung, erhöhtem Puls und einem gesteigerten Blutfluss. Parallel beginnen die Nieren, den pH-Wert des Blutes neu einzustellen, damit die gesteigerte Atmung länger durchgehalten werden kann.
In den folgenden Stunden und Tagen setzt eine zweite Ebene der Anpassung ein: der Körper produziert verstärkt rote Blutkörperchen, damit mehr Sauerstoff transportiert werden kann. Auch die Kapillaren und das Gewebe stellen sich um, um den vorhandenen Sauerstoff besser auszunutzen. Das erklärt, warum man sich nach einigen Tagen in gleicher Höhe meist stabiler fühlt und einfache Tätigkeiten leichter fallen.
Die typischen leichten Symptome wie Kopfschmerzen, leichte Schusseligkeit, Seufzeratmung oder das Gefühl von Atemnot beim Liegen sind Ausdruck dieser Übergangsphase. Sie zeigen, dass der Organismus aktiv „umprogrammiert“. Solange sie mild bleiben und nicht durch schwere Zeichen wie anhaltende Atemnot, starkem Schwindel oder Verwirrtheit ergänzt werden, gehören sie zum normalen Anpassungsprozess – und sind damit ein Teil des Wunders der Akklimatisierung.
Das ist auch gut so, denn heute wollen wir einige Kilometer fahren. Viel mehr passiert auch nicht. Auf halber Strecke der G215 erreichen wir eine der größeren Siedlungen. Wir gehen einkaufen und essen in einem Restaurant – man könnte es fast als Truckstopp bezeichnen. Das Essen, frische Nudeln und Reis mit Ei und Fleisch, ist lecker. In den Laden sind wir vermutlich die ersten Ausländer seit vielen Jahren. Wir werden sehr genau, aber höflich, beobachtet.
Generell wirkt hier alles so anders als in den anderen von uns besuchten Teilen des Landes. Man könnte sich fast irgendwo in Südamerika wähnen.
Die Täler werden schmäler, und die Straße kurviger. Tiefer als die letzten Tage kommen wir allerdings nicht herunter. Für die Nacht suchen wir einen möglichst tief gelegenen, aber mit Mobilfunk versorgten Platz, der nicht in unmittelbarer Nähe oder Sicht der Einheimischen liegt – wir würden das als aufdringlich finden. Auf 4.400 Metern klappt es.



























On the Road | Di.,19.08. | Mi., 20.08. | Do., 21.08. |
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Strecke | 127 km (blau) | 274 km (gelb) | 366 km (grün) |
Zeit insgesamt | |||
Zeit in Bewegung | 5 h 4 min | 7 h 3 min | 7 h 40 min |
Ø-Geschwindigkeit | 25 km/h | 39 km/h | 48 km/h |
Höhenmeter bergauf | 1.576 m | 1.317 m | 3.990 m |
Höhenmeter bergab | 257 m | 1.015 m | 4.002 m |
Höchster Punkt | 4.178 m | 4.776 m | 4.820 m |
Tiefster Punkt | 2.857 m | 4.171 m | 4.025 m |
Höhenprofil | Höhenprofil | Höhenprofil |
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