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The pain is 12 minutes

Ach du SCHEISSE!! Es ist 1 Uhr nachts. Ich wache auf – irgendetwas will mit Gewalt aus meinem Kopf. Mir ist übel. Ich stehe langsam auf, wanke zur Sitzbank und suche dabei eine Plastiktüte. Nachdem ich diese Atemübung für Bergsteiger mache, gibt es leichte Linderung. Den Rest der Nacht werde ich aber im Sitzen auf dem Beifahrersitz verbringen. Anders sind die Kopfschmerzen nicht zu ertragen. Ab vier in der Früh ist dann wieder alles in Ordnung. Nachdem der Tag gestern völlig toll verlief, habe ich gedacht, dass die Nacht auf fast 4.500 Metern okay sein wird. Denken fühlt sich sehr hilfreich an, bringt manchmal aber gar nichts…🙄.

Wiebke macht ihren Sprachkurs, während es draußen stürmischen Nieselregen bei gut 3 Grad gibt. Wirklich ungastlich, das Wetter heute. Als wir gegen 10 Uhr losfahren, biegen wir nach links auf die Landstraße ab, fahren 500 Meter und stehen in einer Kolonne – bemerkenswerterweise fast ausschließlich weiße Autos – vor einer Straßensperre. Es soll gut eine Stunde dauern: der Fahrbahnbelag wird erneuert. Wir beschließen zu warten.

Im Verlauf des Tages wird das Wetter grandios, und wir cruisen über fürchterlich wellige Straßen durch die Gegend. Auf der Höhe im Gebirge herrscht im Boden Permafrost, und die Straßen verformen sich in beliebigen Strukturen, wenn die obere Schicht des Frostes taut, das Wasser aber nicht nach „unten“ weg kann – dort ist ja noch alles gefroren.

Es gibt kaum Verkehr auf der Straße, also kann ich den Wellen, Löchern und Kanten ganz gut ausweichen. Aber es vergehen keine fünf Minuten ohne ein extremes Bremsmanöver, um der nächsten, schwer einsehbaren Senke die katapultartige Wirkung zu nehmen. Unser Camper macht das alles erstaunlich gut mit. Hin und wieder muss Wiebke aber eingreifen und aufgesprungene Türen oder Regale wieder schließen. Eine krasse Achterbahnfahrt.

Am Straßenrand stehen auch immer wieder große Schilder, die auf die Permafroststraße hinweisen. Von einem solcher Schilder stammt auch der Text für den Titel – vermutlich eine manuelle Übersetzung des chinesischen Textes aus der Zeit vor ChatGPT & Co. Wir haben herrlich gelacht, aber kein weiteres Schild für ein Foto gefunden.

Wir essen extrem leckere Baozi. Sie heißen wie die teigigen gedünsteten Kugeln, sehen dabei aber aus wie riesige Jiaozi. Und wenn man hineinbeißt, spritzt es an allen Seiten Soße und Brühe aus dem leckeren Yak-Fleisch heraus. Das Erlebnis ähnelt also dem essen leckerer Xiaolongbao in Shanghai. Mal so am Rande erwähnt 😆.

Am Abend stehen wir in einem kleinen Tal an einer Piste (ungeteerte National Road), die uns morgen zu einem Gletscher führen soll. Deutlich in Sichtweite sind Häuser und auf der anderen Seite der Schlucht ein Lager mit Jurte. Die Anwohner müssen sich von den beiden Ausländern irritiert gefühlt haben– vermutlich sind auch alle tief indoktriniert, Verdächtiges zu melden– und rufen die Polizei.

Der Sheriff kommt gegen viertel vor Zehn. Es ist stockdunkel, und er steht mit seinem Auto neben uns und veranstaltet ein Dauerhupen – so bräsig… Als ich an seinem Auto ankomme, sitzt er in zivilen Klamotten drin (hatte wohl schon Feierabend), und seine Laune und Art, mit mir zu sprechen, entspricht eigentlich auch dem Dauerhupen. Ich verstehe nichts. Er spricht zu gereizt und schnell – dafür aber laut. Hilft nix. Ich verlege mich auf die Bitte, die Übersetzungsapp zu nutzen. Mit ihm will ich irgendwie nichts dem Zufall überlassen.

Am Ende ist alles gut. Er sieht zwar sofort Wiebkes Journalisten-Visum und fragt mehrfach nach dem Grund unserer Reise und ob Wiebke hier arbeiten würde, gibt sich am Ende aber mit der (nunmal wahren) Aussage zufrieden, dass wir lediglich reisen und morgen zum Gletscher wollen.

Das kann einem mit gleichem Tonfall aber auch in St. Peter-Ording mit Vertretern des Ordnungsamtes passieren, wenn man dort an der falschen Stelle mit dem Camper übernachten will. Trotzdem– viel zu aufregend so kurz vor dem Schlafen.

Wir fahren die recht ruppige National Road hinauf zum Gletscher. Den Weg finden wir nur im Internet. Zwischendurch stoppen wir, um zu frühstücken. Es ist einfach wunderschön. Es hat nichts von dem China, das wir bislang erlebt haben. Diese Provinz hat „Glück“, so isoliert und hoch zu liegen, dass es schwierig ist, hier touristisch anzureisen oder die Gegend anderweitig wirtschaftlich zu nutzen. Gut für uns. Hier will ich jedenfalls im Sommer, bei anderen Temperaturen, noch einmal mit dem Motorrad hin.

Der Gletscher… schaut die Bilder an. Atemberaubend schön– bei 4.600  Metern Höhe aber auch im wahrsten Sinne des Wortes 😆. Die Leute dort geben Opfergaben in die schwelende Glut und spritzen danach den chinesischen Schnaps darauf. Wir werden auf Englisch herzlich und neugierig gebeten, dazuzukommen. Wir tun dies, halten dabei aber respektvoll Distanz– auch beim Einsatz der Kamera…

Der Tag plätschert beim Fahren durch diese landschaftlich schöne Ausnahmeerscheinung so dahin. Irgendwann haben wir Hunger, und Wiebke recherchiert ein Restaurant mit tibetischer Küche. Sitzplätze sind in Séparées eingeteilt. Wir sitzen an einem riesigen Tisch – die Bänke sind viel zu weit entfernt. Diese Möbel sind eher für lange Gelage gedacht als zum funktionalen Essen.

Unser Timing ist perfekt, denn es kommen immer mehr Gäste. Am Ende ist der Laden voll. Einige Kinder luken immer wieder neugierig am Vorhang vorbei und machen auch mal heimlich ein Foto. Das Essen– Lammrippchen– ist ein Traum. Dazu gibt es frittierte Kartoffelscheiben und einen sehr leckeren, schweren Tee mit Yakmilch, Salz und einem Gewürz, das ein wenig nach Zimt/Nuss schmeckt. Tolle Erfahrung. Vermutlich der beste Laden am Platz.

Die ganze Stadt wirkt aufgeschlossen, regelrecht westlich orientiert. Auf dem Weg zum nächsten Ziel fahren wir noch an einem Café– dem einzigen– vorbei, um einen leckeren Kaffee zu trinken. Sehr schön eingerichtet. Die Leute wieder total schick– und am Nachbartisch wird „Mensch ärgere dich nicht“ gespielt. Wir Dauercamper dagegen: underdressed 😆.

Für die Nacht planen wir laut Höhenprofil unserer Route an einen Spot mit gleicher oder niedrigerer Höhe als gestern zu fahren– die letzte Nacht war nämlich sehr erholsam. Auf dem Weg fällt uns eine kleine Einfahrt in ein winziges Tal auf. Die Straße ist nagelneu. Wie so oft auf dieser Reise bekommt man den Eindruck, dass für den Weg auch locker Eintritt genommen werden könnte. Wunderschön.

Wir suchen hier einen Platz für die Nacht. Mich nervt der Bach– alles ist ringsum nass und aufgeweicht – als hätte der Wasserlauf kürzlich bestimmt einen halben Meter mehr Wasser gehabt… aber Wettervorhersage und gutes Zureden von Wiebke helfen. Okay, ich checke noch schnell im Bett die topographische Karte, um zu sehen, ob Regen in der Region hier ablaufen könnte. Alles gut. Ich werde wie ein Stein durchschlafen…


On the RoadFr., 22.08.Sa., 23.08.
Strecke 379 km (blau)203 km (gelb)
Zeit insgesamt
Zeit in Bewegung7 h 3 min7 h 57 min
Ø-Geschwindigkeit54 km/h25 km/h
Höhenmeter bergauf2.478 m2.795 m
Höhenmeter bergab3.167 m2.819m
Höchster Punkt4.829 m4.655 m
Tiefster Punkt3.704 m3.455 m
HöhenprofilHöhenprofil

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