Heute wird ein Tag sein, der mich an meine Grenzen bringt. Grenzen der Geduld und Grenzen des Verständnisses kultureller Unterschiede. Ich werde bis spät in den Abend an den Erlebnissen „kauen“ und immer wieder gedankenverloren virtuelle Gespräche führen. Schon lange haben mich zwischenmenschliche Situationen nicht mehr so sehr beschäftigt.
Wir überlegen vor dem Sprachkurs noch kurz, ob wir umparken sollen. Auf der Straße wird vermutlich viel gefahren werden, und wir stehen dann wie ein buntes Einhorn am Straßenrand. Das hat bisher zwar immer zu sehr großem, aber durchweg positivem Interesse geführt – doch selbst das ist beim ersten Kaffee des Tages, noch vor dem Frühstück, durchaus schwierig. Da Wiebke am Rechner sitzt und sich auf den Sprachkurs fokussiert, leite ich derweil unsere kleine Public-Relations-Abteilung 🙄.
Normalerweise läuft das ungefähr so: Jemand schaut überrascht, skeptisch – und sobald ich „Hallo“ sage, hellt sich die Miene auf und alles geht seinen Gang: Interaktion in beiderseitigem Interesse und Wohlwollen.
Heute glotzen fast alle die vorbeikommen nur, erwidern höchstens sporadisch meinen Gruß und fahren einfach weiter. Das geht mehrmals so. Ein älterer Typ glaubt mir meine Erklärungen nicht und fängt an, alle Türen des Wagens ohne zu fragen aufzureißen, um hineinzuschauen – erst als er Wiebke am Computer sitzen sieht und im Kurs Chinesisch sprechen hört, gibt er nach. Richtig überzeugend ist diese Begegnung wohl nicht, denn kurze Zeit später kommt die Polizei. Sie parken in einiger Entfernung in der Kurve etwa 40 Meter vor uns. Ich bin schon völlig genervt von dem ganzen Scheiß!
Auf einmal steht ein Mann bei mir am Auto. Er parkt hinter uns, ich habe ihn gar nicht bemerkt. Er begrüßt mich freundlich und stellt höflich all die Fragen, die sonst die Polizei stellen würde. Ich erkläre mal wieder alles. Die erste einigermaßen normale Unterhaltung des Tages. Dann fährt er mit seinem Auto zu den Cops vor und setzt sich hinten in deren Wagen. Ich beobachte das Treiben – nichts passiert. Vermutlich kommt er noch einmal zurück und will unsere Pässe sehen. Das ist ja wie im Film, meine Güte!
Dann kommen plötzlich drei Gestalten ums Auto und stellen sich vor mich. Sie tragen feine schwarze Klamotten. Zwei Männer, eine Frau. Ich vermute irgendwie zivil gekleidete Funktionsträger des Dorfes oder Kreises – wie auch immer hier die kleinteilige politische Ebene heißt. Diese drei werden es schaffen, mein Verständnis und meine Akzeptanz für kulturelle Unterschiede heute noch vor dem Frühstück aus den Angeln zu heben.
Der älteste der Gruppe, vielleicht fünfzig, erwidert mein „Hallo“ in einem dermaßen unhöflichen und unfreundlichen Verhörton, mit Fragen nach (vermutlich) dem Grund unserer Anwesenheit, Herkunft, Ziel am Vortag, Ziel heute usw.. Als ich dann mit meinem Chinesisch am Ende bin, bitte ich um Entschuldigung und sage ich ihm, dass ich seine schnell gesprochenen Fragen nicht gut verstehe. Er will sich vermutlich profilieren und bleibt bei seinem Tonfall – nur dass er mir jetzt sein Telefon vor die Nase hält und mich dabei filmt.
In meinem Kopf läuft ein Karussell: was für ein penetrantes, hysterisches Arschloch! Mit welchem Hammer muss man soziokulturell gepudert worden sein, dass die erste Reaktion auf reisende Fremde ein Verhör auf offener Straße mit Video ist?
Meinen Impuls, ihm das Handy aus der Hand zu reißen und auf den Acker nebenan zu werfen, habe ich im Griff. Ich erläutere weiter gebetsmühlenartig, dass wir Reisende sind, und öffne die Schiebetür. Wiebkes Sprachkurs glättet das Misstrauen. Aber erst mein Hinweis auf die weiter vorne stehende Polizei beruhigt vollends. Tatsächlich ist zu erkennen, dass die kleine Gruppe sich wegen ihres Auftretens ein wenig doof vorkommt. Der Rädelsführer will noch die Hände schütteln– willkommen heißend oder entschuldigend. Mir egal, ich mache mit. Ich will die Dödel nur noch loswerden. Ich will und kann es auch nicht nachvollziehen– zumindest heute noch nicht.
Ach so, das ist ja alles nur vor dem Frühstück abgelaufen. Wir fahren nach dem Frühstück die circa neun Kilometer in die Stadt zu einem der größten buddhistischen Klöster der Region, dem Rongwo Monastery (chinesisch 隆务寺, „Longwu Si“; tibetisch Rongwo Gompa bzw. Rongwo Gönchen). Wir kaufen als offensichtliche Touristen Tickets– alle, die wie Einheimische aussehen, gehen einfach durch. Zum Kauf müssen unsere Pässe vorgelegt werden. Da Religion eines der sensiblen Themen hier ist, dauert es nur etwa 15 Minuten, bis in Sichtweite drei Typen herumlungern. Immer wenn man schaut, wird schnell weggeguckt. Es wird ständig ein (vermutlich) imaginäres Telefonat geführt, und wenn möglich an den Klamotten variiert– Jacke an, Jacke aus, Mütze auf, Mütze ab. Man gibt sich Mühe, inkognito zu observieren. Sie waren stets bemüht… Vor dem Hintergrund der Ereignisse am Morgen schwanke ich zwischen einer gewissen Faszination und völliger Fassungslosigkeit, die mir die Adern schwellen lässt. Auch wenn keine direkte Interaktion stattfindet, ist man abgelenkt und beschäftigt.
Siehste, jetzt hätte ich beinahe vergessen zu schreiben, dass das Kloster sehr schön, ruhig, groß und wirklich einen Besuch wert ist… Auch sind die meisten Begegnungen mit den Menschen dort wirklich tolle und persönlich.
Als wir die Anlage verlassen, folgen uns zwei Wagen, jeweils mit mehreren Personen besetzt. Auch die Typen, die uns schon im Kloster beschattet haben, sind dabei. Vor lauter Aufregung und Blicken in den Rückspiegel verpasse ich Wiebkes Hinweis: hier links abbiegen zum Supermarkt. Aber geradeaus scheint auch zu gehen– nur fahren wieder alle so bescheuert auf meiner Seite. Dreist werde ich immer wieder mit der Lichthupe angeblinkt. Was für ein Tag! Nach gut 200 Metern spricht mich jemand aus seinem Wagen durch das offene Fenster an: „Einbahnstraße, Freundchen“, sagt er vermutlich. Ich verstehe das zwar nicht, aber der Groschen fällt auch so…
Beim Essen, Einkaufen und auch den Rest des Tages werden wir verfolgt und beschattet. Mich macht das ganz verrückt.
Am Abend gestaltet sich die Stellplatzsuche schwierig. Wir sind in Kanbula. Hier gibt es tolle, beeindruckende Felsformationen rund um ein gigantisches Wasserreservoir zu sehen– der Gelbe Fluss mal wieder, diesmal aufgestaut. Wir stehen auf dem Touri-Parkplatz. Das Beschattungsteam ebenfalls. Übernachten dürfen wir hier leider nicht und fahren deshalb in den Ort. Mit dem Camper könnten wir theoretisch überall stehen, aber keiner von uns hat Lust, mitten in der Nacht von der gerufenen Polizei weggeschickt zu werden. Wir beschließen, ins nächste Hotel zu gehen. Das hat sogar einen Pool– Wiebke freut sich schon aufs Schwimmen.
Um es kurz zu halten: wir werden in einer schönen Parkbucht vor dem Hotel schlafen. Den Pool gibt es nicht und unsere Begleiter scheint unser Camping nicht zu stören – die Nachtschicht parkt gerade quer zur eigentlichen Parkrichtung, direkt auf unser Auto schauend, vier Meter neben uns. Der starke Regen wird uns auf dem Autodach trommelnd in den Schlaf begleiten. Unsere Beschatter nicht- die sitzen im Auto neben uns und passen auf.























































Die Nachtschicht wechselt mit der Frühschicht. Neues Auto, neue Gesichter. Das Team für die mobile Überwachung nutzt den Wagen von gestern– der Fahrer ist derselbe. Man gewöhnt sich dran, entwickelt aber eine ausgeprägte Paranoia. Alle Menschen sind nun verdächtig– sobald bei unserer Sichtung weggeschaut wird anstatt interessiert zu glotzen, ist meist klar: die Person gehört einem der Teams an.
Wir lassen uns Zeit. Während wir Kaffee trinken und frühstücken, sitzen die Typen in ihrer Karre. Sie haben die Wahl zwischen beschlagenen Scheiben oder Regen durchs offene Fenster im Auto.
Wir wollen heute den Naturpark besichtigen. Es soll wirklich sehr schön sein. Und da schon Nebensaison ist, sind wir quasi alleine unterwegs. Ich korrigiere: Heute sind wir nicht eine Sekunde alleine unterwegs…🙄. Besonders interessant finden Wiebke und ich die Mischung der Fortbewegungsmittel im Park. Wir werden mit dem Boot hineinfahren, dann mit Bussen größere Strecken zurücklegen und wo wir wollen aussteigen und ein wenig (zwar auf Holzplanken und Treppen) wandern. Tolle Idee, sitzen wir doch seit geraumer Zeit eigentlich nur im Auto.
Es hat in der Nacht unfassbar viel geregnet und schwere Gewitter gegeben– eine orangene Warnung (zweithöchste Stufe) des Katastrophenschutzes über „natürliche Ereignisse im Zusammenhang mit Starkregen“ liegt auch vor– beispielsweise Erdrutsche. So kommt es, dass wir an der Kasse erfahren, dass keine Busse fahren werden. Wir aber dennoch mit dem Schiff übersetzen und ein wenig umherflanieren können.
Mit ein wenig gedämpfter Stimmung fahren wir los– Sicherheit geht vor, also Rettungswesten an. Vor Ort sehen wir dann, warum keine Busse fahren. Der Regen hat hier mit unfassbar viel Wasser ganze Straßen überspült. Auch rieselt und krümelt es an diversen Hängen dicht an der Straße. Warum wir das wissen… wir sind natürlich zu Fuß los. Knapp vier Kilometer zu dieser aus der Ferne sichtbaren, 300 Höhenmeter überbrückenden Treppe, die zu einem auf der Hügelspitze stehenden Buddha führt.
Der wird renoviert – denken wir zumindest. So ist er eingerüstet, und einer dieser großen hohen Krane steht daneben. Als wir den Fuß der Treppe erreichen, sehen wir, dass diese gesperrt ist– nicht sicher… Klassiker, hätten wir uns denken können. Später erfahren wir, dass die Statue nicht renoviert wird, sondern „von der Führung“ ein Baustopp verfügt wurde. Das Gerüst und der Kran stehen da also schon länger. Ich verkneife mir die Frage, welche „Führung“ gemeint ist.
Auf dem Rückweg treffen wir einen lokalen Filmemacher. Er ist vor Ort, um eine Reportage über einen Mann zu drehen, der in diesem Tal aufgewachsen ist. Dieser ist vermutlich um die 75 Jahre alt und hat einen Großteil seines Lebens in dem Dorf verbracht, das nun am Grund des Stausees verloren ist. Diese Unterhaltung gibt unserem Besuch eine weitere im wahrsten Sinne tiefgründige Bedeutung.
Zurück beim Auto kollabieren wir fast vor Hunger. Wiebke findet ein tolles Restaurant nur einige Kilometer entfernt. Wir fahren hin– unsere Begleiter ebenso. Das Restaurant liegt in einem Kloster. Unsere Begleiter sind hochgradig nervös. Als wir den Klosterhof mit dem Auto verlassen– denn heute hat das Restaurant geschlossen– parken sie plötzlich neben uns und suchen das Gespräch. Kurios. Wir können nur mutmaßen. Offenbar will man die Kontrolle über die Situation gewinnen und uns aus der Umgebung des Klosters bekommen.
Ich erkläre, dass wir per App etwas zum Essen suchen. Zeige ihm das neue Lokal. Das Observationsteam fährt vor, klärt im Voraus, ob es Essen gibt, und lässt uns dann in Ruhe. Beim Hineingehen spreche ich den Fahrer nochmal an. Ich habe ihn schon gestern im Kloster und den Tag über bei diversen Wendemanövern direkt gesehen und ihn öfter mal gegrüßt. Ich sage ihm: ihr müsst wissen, Wiebke arbeitet hier nicht. Sie ist meine Frau, und wir machen nur Urlaub. Er sagt mir– und das ist wirklich bemerkenswert: kein Problem, wir sind auch nur zufällig hier. Natürlich ist einiges „lost in translation“, aber er bleibt in seiner Rolle. Du kriegst die Tür nicht zu…
Wir essen extrem gut und wirklich viel. Beide wundern wir uns, wo wir das alles hingegessen haben, bis plötzlich das Sättigungsgefühl einsetzt. Nach dem Essen fahren wir noch einige Kilometer, machen auf einer einsamen Autobahnraststätte Pause. Als wir eigentlich weiterfahren wollen, fällt uns auf, wie ruhig es hier ist. Keine Autos, und das einzige, was man hört, ist das Rascheln des Laubes der zehn Meter entfernt stehenden Bäume. Wir bleiben einfach für die Nacht. Es soll eh regnen.










































































On the Road | Mo.,25.08. | Di., 26.08. |
---|---|---|
Strecke | 120 km (blau) | 115 km (gelb) |
Zeit insgesamt | ||
Zeit in Bewegung | 7 h 18 min | 6 h 11 min |
Ø-Geschwindigkeit | 16 km/h | 19 km/h |
Höhenmeter bergauf | 1.062 m | 1.036 m |
Höhenmeter bergab | 1.615 m | 1.179 m |
Höchster Punkt | 2.640 m | 2.290 m |
Tiefster Punkt | 2.011 m | 1.901 m |
Höhenprofil | Höhenprofil |
Stationen in der Region
Hallo ihr beiden. Man weiß wirklich nicht, ob man weinen oder lachen soll, bei euren Geschichten. Da man ja selber nicht dabei ist, denke ich eher ans Lachen. Da ich weiß, dass es euch gutgeht und keiner ins Gefängnis wandert, darf ich das glaube ich. Macht die Reise ja irgendwie noch einzigartiger. Und das ist sie ja sowieso schon. Auch ohne diese Kuriositäten. Unglaublich schön spannend und mega geil. Bitte mehr davon. 😘😘😘
Hej Sybille, ja lachen ist okay. Wir machen das ja am Ende auch – auch wenn es manchmal vielleicht bisschen hysterisch irre Klingen mag 😆. Einzigartig ist es definitiv mal wieder. Ich hoffe Ihr beiden habt Spaß und erholt euch gut.
Bitte Polarsteps laden.