Was für eine herrlich ruhige Nacht. Sprachkurs, Frühstück, Abfahrt. Wir fahren so spontan los, dass unsere Bewacher ein wenig ins Schlingern geraten – ein weißer Wagen, das Kennzeichen habe ich mir gemerkt. Wirklich erstaunlich, wie ambivalent mein Verhältnis zur Situation ist: einerseits nervt es unterschwellig massiv, andererseits kann ich es mir nicht verkneifen, die Verfolger mit fingierten Manövern zu veräppeln oder ihnen jedes mal, wenn wir losfahren, ein Zeichen zu geben… Ist das schon eine Form von Stockholm-Syndrom?
Heute haben wir eine Überraschung geplant. Weil wir uns „dem Schatten“ entziehen wollen, verlassen wir die Provinz Richtung Gansu– wir wollen zu den Bingling-Grotten. Dort gibt es große Buddhas sowie versteinerte Spuren von Dinosauriern zu sehen. Das Ganze liegt ebenfalls an einem großen Stausee. Soweit der Plan.
Es regnet seit Stunden durch, und laut Wettervorhersage wären Regenpausen nur Zufälle– nach Sonne fragen wir gar nicht erst. Entsprechend hoch ist auch das schon so oft erwähnte Risiko für Erdrutsche etc. Die Warnungen können wir in der Wetter-App sehen. Das chinesische Navi kennt alle Streckensperrungen, daher folgen wir der vorgeschlagenen Route.
In einem enger werdenden Tal fahren unsere Verfolger zügig vorweg (sie haben dummerweise überholt) und bremsen plötzlich scharf in einer Kurve. In diesem Bereich der Straße haben gerade die Fangnetze für Felsstürze geendet. Wir können aus gut 100 Metern Entfernung sehen, dass vor ihrem Wagen Felsen und Geröll liegen. Vom steilen Hang rieseln weitere Steine – brandgefährlich!!! Der Wagen vor mir wendet hektisch. Verdammte Scheiße, bloß raus aus dieser Schlucht!
Hinter unserem Auto steht ein Wagen mit 30 cm Abstand. Unsere Rückfahrleuchten werden lediglich mit Hupen gekontert, bewegt wird sich nicht. Ich fange also an, unser 6 Meter langes Auto in tausend Zügen zu wenden. Immer wieder mit der Front dicht an die Felswand mit der Gefahr von Steinschlag– ich bekomme quasi jetzt beim Schreiben noch Gänsehaut. So ein Gefühl von „Gefahr in Verzug“ hatte ich, wenn ich ehrlich bin, noch nie.
Hier mal zu unserer Ehrenrettung an die mitlesenden Elternteile: dafür können wir nichts, das sind schlicht die Verhältnisse in dieser Landschaft.
Wir ziehen uns zurück in einen sicheren Teil des Tals, machen Pause für ein zweites Frühstück und warten die Situation ab. In der Ferne können wir die Rücklichter der mittlerweile im Stau wartenden Autos sehen– die Navi-App ändert den Zustand der Straße derweil in „gesperrt“.
Nun gut, auf direktem Weg scheint das nichts zu werden. Wir wählen die Strecke mit einem deutlichen Umweg– jetzt ausschließlich große Straßen. Schön ist es hier überall, und die Zeit haben wir. Beim Verlassen des Tals durch den fünf Kilometer langen Tunnel, den wir auch schon heute Morgen genommen haben, halten wir kurz neben unseren Begleitern und ich bedeute ihnen, das Fenster zu öffnen– wir haben eine Frage. Der Fahrer schaut erschrocken zur Seite und will mich ignorieren– völlig untypisch für zufällige Begegnungen. Sein Beifahrer hat anscheinend die Hosen an, macht eine Ansage, und das Fenster öffnet sich. Er spricht auch als einziger, als meine Frage zur Wartedauer und zum Grund des Staus beantwortet wird. Sie wissen auch nicht mehr als wir. Weiter geht’s. Hinter uns wird schnell gewendet, um den Anschluss nicht zu verpassen.
So um 18 Uhr sind wir schon recht dicht bei der Scenic Area. Nach dem Schreck am Vormittag wollen wir dort auf dem Parkplatz übernachten. Nur dieses kleine Stück schmaler Bergstraße müssen wir noch fahren– 15 km. Laut Navi gibt es viele Serpentinen. Wir beide fragen uns zwar, was das schon wieder vom Navi soll, fahren aber weiter.
Als wir in den Streckenabschnitt einbiegen, tauchen wir in eine Schlucht aus steilen Felswänden ein. Auch hier hat der starke Regen viel Schlamm und Steine auf die Straße– besser gesagt auf den Betonweg– gespült. Steil geht es die Betonfahrspur nach oben. Superenge Kurven– wenn ich nicht maximal aushole, droht das Hinterrad vom Weg abzukommen. Das wäre sehr schlecht, so sind die Ränder neben dem Beton meist tief schlammig oder ganz weggespült. Stellen mit zu viel Schlamm müssen wir mit etwas Schwung angehen. Wir wollen weder stecken bleiben noch mit durchdrehenden Rädern in den Schlamm neben der Straße rutschen. Dann sehen wir die ersten Stellen mit tiefen Löchern im Beton – der Regen hat hier alles weggespült. Meine Güte, zum Glück haben wir keinen Gegenverkehr!! Meine Uhr weist mich derweil auf mein heute zu hohen Stresslevel hin– habe ich auch so schon bemerkt, trotzdem danke 🙄. Wiebke liest regelmäßig die verbleibenden Kilometer vor. Diese Streckenführung ist völlig überflüssig– landschaftlich allerdings kaum zu toppen!
Gut ein Kilometer vor dem Abzweig auf die „große Straße“ (wir glauben gar nichts mehr) fehlt die Hälfte der Betonpiste. Das Loch ist einen Meter tief, und ein Teil der verbliebenen Piste ist unterspült. Ich bekomme schon Beklemmungen, wenn ich dort nur am Rand stehe! Wir müssen also zum Überfahren der Stelle ein gutes Stück in den schlammigen Teil am rechten Seitenrand des Weges– zu weit, und wir rutschen ab ins Maisfeld. Nicht weit genug und wir erwischen vielleicht eine bröckligen Teil Beton.
Als wir die Stelle passiert haben, sind es nur noch 400 Meter bis zur großen Straße. Wir sind so froh! „Guck mal, hier sind sogar andere Autos!“, sagen wir noch. Dann realisieren wir die Situation: In der vermutlich letzten Rechtsbeugung der Strecke gab es einen Erdrutsch. Die Betonpiste ist komplett weg. Die provisorische Strecke verläuft weiter innen an der Bergflanke, hat sehr tiefe Fahrspuren und ist extrem schlammig. Ein Fahrer steht mit Spaten in der Strecke und schaufelt Sand in die tiefen Spuren – er kommt aus entgegengesetzter Richtung. Sein Auto blockiert also den Weg.
Die Situation birgt mehrere bemerkenswerte Dinge:
a) Unser Auto hat Wassertanks und Ventile unten dranhängen – wir können eigentlich nicht durch die tiefen Spurrillen.
b) Wenn wir dort entlangfahren, ohne in die Spuren zu geraten, müssen wir aufpassen, nicht nach links in die Wand oder nach rechts in den „Abgrund“ abzurutschen.
c) Ich darf die Karre auf keinen Fall vollkommen festfahren.
d) Man ey, der Typ stochert die ganze Zeit mit seinem Spaten Löcher in die wirklich labil aussehenden Teile der gestern abgerutschten Bergflanke!!
Es kommen andere Autos: ein VW Passat (sehr tief – schafft der das, dann wir auch), ein kleiner LKW und am Ende ein großer Geländewagen– dessen Fahrer lacht vermutlich nur über das bisschen Schmutz auf der (nicht vorhandenen) Straße. Ich lasse alle vor– das tut Typ im Passat auch. Dem schwirren vermutlich dieselben Bedenken durch den Kopf.
Der LKW fährt zuerst. Es sieht dramatisch aus, als plötzlich die Hinterachse nach rechts aus den tiefen Spuren in Richtung Abgrund rutscht. Irgendwie funktioniert es dann doch, aber dafür muss der Fahrer so weit nach links in den schlammigen Teil der Bergflanke fahren, dass er den gesamten LKW komplett festfährt. Erstaunlich, er hat alle meine Befürchtungen in einem einzigen Versuch umgesetzt… Der Fahrer des Geländewagens ärgert sich vermutlich spätestens jetzt darüber, dass er nicht zuerst gestartet ist. Ich gehe hin und spreche kurz mit ihm– ganz im Gegenteil: Alle im Auto sind gut gelaunt und fragen, warum wir diese miese kleine Straße mit unserem riesigen Auto nehmen… 🙄.
Mittlerweile versucht man, den LKW von der talabwärts gelegenen Seite quasi nach unten aus dem Schlamm zu ziehen. Das funktioniert mehrfach nicht. Es ist kurz nach sieben, 45 Minuten bis Sonnenuntergang, im Nieselregen in den Wolken steckend. Das Wetter und die Zeit spielen gegen uns. Für die Nacht ist wieder Regen vorhergesagt. Wir wollen die Kontrolle über die Situation behalten und beschließen, dass wir genug gesehen haben.
Wir wenden– wieder in tausend Zügen. Der Wagen setzt zweimal mit unschönem Geräusch auf. Der Rückweg ist wirklich kein Spaß. Vorsichtig, im dichten Nebel der Wolken, fahren wir die enge Straße herunter– ja, auch über das schreckliche Loch müssen wir noch einmal. Als wir unten ankommen, ist es dunkel. 25 km fahren die Strecke zurück, die wir vor einigen Stunden gekommen sind, um an einer Passstraße zu übernachten. Dort hat man nämlich schöne Camper-Parkplätze gebaut. Als wir völlig fertig ankommen, ist es schon neun Uhr.




































Ohne weitere Zwischenfälle, aber dafür mit leckerem Essen und schönen Aussichten fahren wir heute bis zur Touri-Info. Es regnet den ganzen Tag und die Gefahrenwarnungen sind noch gültig. So sagt man uns, der begehbare Teil des Parks sei aus Sicherheitsgründen geschlossen – lediglich Bootsfahrten können wir machen. Ein bisschen scheint der Wurm drin zu sein.
Da wir heute am späten Nachmittag eh nichts mehr machen wollen, beschließen wir, morgen noch einmal zu fragen. Neuer Tag, neues Glück. Außerdem ist gutes Wetter bei Sonnenschein vorhergesagt!!


















On the Road | Mi., 27.08. | Do., 28.08. |
---|---|---|
Strecke | 302 km (blau) | 118 km (gelb) |
Zeit insgesamt | ||
Zeit in Bewegung | 8 h 1 min | 4 h 1 min |
Ø-Geschwindigkeit | 39 km/h | 29 km/h |
Höhenmeter bergauf | 4.605 m | 847 m |
Höhenmeter bergab | 3.863 m | 1.796 m |
Höchster Punkt | 3.190 m | 2.714 m |
Tiefster Punkt | 1.748 m | 1.625 m |
Höhenprofil | Höhenprofil |
Stationen in der Region
Unsere Begleiter sind wir übrigens tatsächlich losgeworden. Kurz hinter der Provinzgrenze sind sie umgedreht…
Und das ganze ohne ordnungsgemäße Übergabe? Das werde ich melden. 🙋🏼♀️
Hätten sie das mal gemacht, hätten sie auch gewusst, dass wir ein paar Tage später wieder zurück waren … 😉
Aber Spaß beiseite. Wir waren wirklich erleichtert…