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Ab in die Wüste

Kühe scheinen sensibel für ihre Umgebung zu sein. Um 4:00 Uhr steht eine vor meinem Zelt. Ich hoffe, dass sie es sieht. Sie scheint es zu bemerken und  „muuuuuhhhhht“ kräftig. Und zwar so kräftig, dass meine gesamte ISO-Matte anfängt zu vibrieren! Weiter passiert nichts, und ich schlafe wieder ein.

Ich wache erst gegen sieben wieder auf, als ich leisen Regen auf das Dach des Pavillons nieseln höre. Nachdem ich die Wettervorhersage angeschaut habe, beschließe ich langsam einzupacken und mich dann unter meinem quasi privaten Pavillon niederzulassen. Ich warte auf eine Regenpause. Laut Regenradar könnte das gegen Mittag sein. Porridge und Kaffee schmecken irgendwie besonders gut. Das ist regelrecht gemütlich.

Als das Regenradar am Ende recht behält, mache ich mich auf den Weg. Heute fahre ich relativ viele Kilometer, da ich direkt zu Anfang auf die Autobahn fahre. Ich will dem Regen unbedingt entgehen!! Am Nachmittag, es ist vermutlich 16:00 Uhr oder so, esse ich ein spätes Mittagessen und schaue, wo in der Gegend Unterkünfte sind – Camping oder Hotel, beides wäre mir recht. Direkt im Ort gibt es ein nettes, kleines Hotel für zwölf Euro. Die Beträge sind alle nicht wirklich nennenswert, aber bei der Länge dieser Reise fallen ein paar Euro mehr oder weniger in Summe doch ins Gewicht.

Da es aber noch recht früh am Tag ist und die Sonne erst gegen acht untergeht, entscheide ich, noch einige Kilometer zu fahren und irgendwo auf der Strecke mein Zelt aufzuschlagen. Die Strecke entwickelt sich zu einer sehr spektakulären Fahrt durch schroffes und am Ende extrem windiges Gelände! Ich versuche mehrmals, einen geeigneten Platz zu finden. Am Ende muss ich mich auf das Campen verlassen, weil sich der Sonnenuntergang nähert und das nächste Hotel 160 km entfernt ist – ja, das hätte man auch vorher prüfen können.

Mein erster Versuch ist eine scheinbar stillgelegte Industrieanlage. Dort steht ein nie über die Rohbauphase hinaus fertiggestelltes Parkhaus mit einigen Wänden. Ich denke, ich könnte dort sehr gut mein Zelt vor dem Wind verstecken. Als ich mich der Anlage nähere, hetzen fünf riesige Hunde auf mich zu – bellend, mit aufgestelltem Fell und gefletschten Zähnen. Ich mache kehrt. Das geht ganz gut mit dem Motorrad auf Schotter: hinten bremsen, Fuß raus, Motorrad zur Seite lehnen, in die Richtung schauen in die es gehen soll … Gas geben! Das Heck kommt schon rum. Außerdem schrecken die fliegenden Steinchen die anstürmenden Hunde ein bisschen ab. Sollten die nicht springen, beißen sie eh nur in die Stiefel oder die großen Knieprotektoren – ausprobieren möchte ich das aber keinesfalls.

Einige Kilometer weiter, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, finde ich eine stillgelegte Mine mit einigen Gebäuden, die Windschatten versprechen. Ich schaue mir das an. Das wird aber nichts, denn sobald man die Straße verlässt, wird der Untergrund extrem steinig, so dass man dort kein Zelt aufbauen könnte.

Versuch Nummer drei führt mich hinter eine große Wand. Warum die dort steht, weiß ich nicht. Ist aber auch eine W-Frage – und diese Fragen kann man getrost ignorieren. Die Wand bietet zwar Windschatten, aber ich komme nicht nah genug heran, denn dicht an der Wand haben sich diverse Reisende erleichtert. Sieht aus wie eine Latrine ohne Donnerbalken. Außerdem steht die Wand nur zehn Meter von der Straße weg, und es rasen immer noch viele, viele LKW vorbei. Ich fahre also weiter.

45 Minuten Licht werde ich wohl noch haben. Der Sturm macht auch das Fahren nicht angenehmer. Die Landschaft ist wie immer wunderschön, und es deutet sich spektakulärer Sonnenuntergang an. Wo ich schlafen werde, weiß ich immer noch nicht.

In einiger Entfernung zeichnet sich eine große Gebäudegruppe ab. Direkt an der Straße steht ein verlassener Polizeiposten. Daneben mehrere große Gebäude hinter einer Mauer, abgesichert von einem schweren Rolltor. Das steht genau so weit offen, dass eine Person – und zufälligerweise auch ein Motorrad – hindurchpasst. Der Zustand der Gebäude ist erbärmlich. Türen hängen in den Angeln, Fenster stehen offen und überall Scherben. Ich versuche, mein Zelt im Windschatten des größten und höchsten Gebäudes aufzubauen. Der Wind ist aber so stark, dass Böen mehrfach die Heringe wieder aus dem Boden reißen. Letztendlich muss ich bestimmt zehn Meter meinem Zelt hinterhersprinten, weil der Wind es mit sich trägt – bemerkenswert schnell laufe ich mit meinen schweren Stiefeln.

Am Ende entscheide ich mich, das Zelt in die Eingangshalle des größten Gebäudes zu stellen. Sehr unheimlich. Ich entwickle mich zu meinem kleinen Ich zurück. Überall sind Schatten, alle Geräusche sind unheimlich. Wirklich: wie ist es möglich, als erwachsener Mann plötzlich so „getrieben“ zu sein? 😆

Ich beschließe, mit meiner Taschenlampe zumindest das Erdgeschoss abzugehen und zu schauen, ob die Kellereingänge offen oder verschlossen sind. Auch bin ich noch ein wenig von den Hunden einige Kilometer weiter vorne beunruhigt. Ich möchte hier bei offenen Türen nicht von einem dieser Rudel überrascht werden. Weil ich von der Straße aus nicht gesehen werden möchte, tue ich dies mit der Rotlichtfunktion meiner Taschenlampe.

In einem der Räume sehe ich eine sich leicht bewegende Struktur. Ich denke erst an eine große Plastiktüte – auch kurz an einen Hund. Dann schauen mich, im roten Licht meiner Taschenlampe (ihr kennt das vielleicht aus Tierdokumentationen und Nachtaufnahmen), dreißig weiße Punkte an. Hatte ich mich gerade beruhigt, bin ich jetzt doch ein wenig erschrocken. Ich stelle um auf normales Licht: Da sitzen fünfzehn junge, aber recht große Vögel (vielleicht groß wie jüngere Katzen) in einer Gruppe zusammengedrängt und glotzen mich an – sie bewegen sich nicht. Ich vermute, das ist Schutzverhalten, und schließe daraus: Das sind Jungtiere eines größeren Vogels. Schon wieder Jurassic Parc…

Wenn es hier Jungtiere am Boden gibt, gibt es sicherlich auch keine Raubtiere oder streunende Hunde. Es sei denn, die Vögel haben alles aufgefressen… LOL. Ich gehe in mein Zelt, und tatsächlich werde ich eine sehr erholsame Nacht erleben.

Ich wache auf. Ob ich gut geschlafen habe oder nicht, ist erst mal zweitrangig, denn um mein Zelt herum scharrt und gackert es. Einer der Vögel schreit in einer bohrend betäubenden Lautstärke direkt neben meinem Kopf in einer bestimmten Melodie. In jeder Pause hört man die Antwort von draußen – sehr viel leiser, weil weit entfernt, aber offensichtlich ein Verwandter. Warum die sich nicht näher beieinanderstellen können, wenn sie reden wollen…

Irgendwann ist Ruhe. Und wenn ich diese Tiere nicht gesehen und gehört hätte, würde ich jetzt in dem Gebäude keine Spur von ihnen sehen. Auch draußen ist nichts zu finden.

Ich beschließe, in der aufgehenden Sonne ein schnelles Frühstück zu machen: Kaffee und Porridge. Als ich da so sitze, krabbelt eine Spinne, mit Beinen bestimmt einen Zentimeter groß, an mir vorbei. Als sie bemerkt, dass sie an mir entlangläuft, dreht sie um. An meinem Essen oder Wasser ist sie nicht interessiert. Stattdessen kommt sie direkt zu meinem Campingstuhl und versucht, das Stuhlbein hinaufzukrabbeln.

Mir kommt das komisch vor. Ich schaue genauer hin – und es scheint eine Zecke zu sein. Ich nehme eines der herumliegenden Teile Schrott, eine M10-Mutter, und drücke beherzt drauf. Diese Zeckenart wird bis zu zwei Zentimeter dick, wenn sie vollgesogen ist. Man möchte sich wirklich nicht vorstellen, dass man plötzlich in der Achselhöhle oder an anderen Körperstellen eine Weintraube hängen hat, die theoretisch sogar weglaufen könnte…

Der Tag wird schön und lang. Ich fahre wieder einige Kilometer. Fast 200 davon auf Schotterwegen. Als Ziel habe ich den Campingplatz am See von meiner Anreise im August. Es ist nachts mittlerweile aber schon so kalt, dass er geschlossen hat. Ich fahre noch zwei weitere in der Karte ausgewiesene Campingplätze an, finde aber nichts. Schließlich gehe ich in eine kleine Pension. Wenigstens gibt’s dort keine Krabbeltiere oder kreischenden Vögel. Gute Nacht.

Dadurch, dass ich die letzten Tage so viele Kilometer gefahren bin, liege ich zeitlich vor meinem Plan. Insofern beschließe ich, erst einmal nur bis Hami zu fahren. Das ist einmal über den Berg, vermutlich um die 200 km.

Ich nehme die Stadt als Station für die dann folgende Etappe, auf der ich mich 420 km auf einer kleinen Landstraße durch die Wüste schlagen werde. Nach den Berichten anderer Reisender gibt es dort weder Mobilfunk noch Versorgungsmöglichkeiten. Eine spannende Sache.

Heute wird dagegen ein sehr entspannter Tag.


On the RoadDi., 09.09.Mi., 10.09.Do., 11.09.
Strecke 454 km (blau)451 km (gelb)162 km (grün)
Zeit insgesamt
Zeit in Bewegung10 h 50 min7 h 18 min2 h 49 min
Ø-Geschwindigkeit42 km/h62 km/h57 km/h
Höhenmeter bergauf2.528 m3.343 m1.748m
Höhenmeter bergab2.558 m2.589 m2.566 m
Höchster Punkt1.334 m2.151 m2.755 m
Tiefster Punkt510 m498 m753 m
HöhenprofilHöhenprofilHöhenprofil

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