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Schraube locker?

Vorweg: Ich werde heute nur 14 km fahren und es wird etwas mehr Text – ich muss mir vermutlich was von der Seele schreiben.

Der Tag startet hervorragend – ich habe sehr gut geschlafen, und für die Verhältnisse (also wenig Platz um Zeug mitzunehmen) finde ich mein Frühstück auch richtig toll!

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Ich habe immer 9 l Wasser im Gepäck – für den Tag und als Reserve. In der Jacke gibt es auf dem Rücken eine Wasserblase mit weiteren 2 l drin. Außerdem habe ich mir den halbvollen Tank als Sicherheitsmarke gesetzt, um zur nächsten Tankstelle fahren zu können.

Heute nach dem Frühstück habe ich nur noch meine 2 l Wasser in der Jacke. Bei sportlicher Betätigung in 40 °C heißt es, man solle durchaus pro Stunde etwa 1 l trinken. Viel Reserve hatte ich also nicht dabei. Mein Tank sollte laut Anzeige halb voll sein, was sich auch ungefähr mit der Kilometerleistung, die ich mit der Tankfüllung gefahren bin, deckt.

Außerdem habe ich – nach der Reifenpanne und dem fehlenden Werkzeug – mal formuliert, dass ich recht schnell, ohne Umwege durchs Gelände, in die Hauptstadt der Provinz Gansu fahren werde. Dort will ich mich, abweichend von meinem ursprünglichen Plan, mit Max treffen und ein paar Tage bleiben. Ich kann also Werkzeug und Kleinkram dorthin bestellen.

Soweit zum Plan und den guten Vorsätzen.

Wenn man auf so einer Asphaltstraße fährt und ein sehr fähiges Motorrad unter dem Hintern hat, kommt einem jede Schotterstraße, die man links und rechts vorbeiziehen sieht, wie Verschwendung vor. Mein Motorrad fährt sich mit 90 km/h auf einer Piste besser als mit gleicher Geschwindigkeit auf einer Autobahn 🤷🏼. Ich tue es also, biege rechts ab, folge einer Schotterstrecke, die relativ schnell – nach gut einem Kilometer – von Dünen überweht ist. Ich fahr circa 100 m in die Dünen rein – mega Spaß!

So richtig clever kommt mir das aber nicht vor, und ich denke mir, dass ich mit dem wenigen Wasser und dem gerade einmal halb vollen Tank hier nichts verloren habe. Dafür klopfe ich mir auf die Schulter – sehr gut entschieden!

Beim Wenden in dem tiefen Sand geht die Maschine mehrfach aus. Bis sie gar nicht mehr anspringt. Mein erster Gedanke ist, dass die Tankanzeige des Motorrads nicht korrekt funktioniert.

Das Motorrad hat drei Tanks. Im Grunde ist meine ganze Sitzbank ein großer Tank, und dann sind links und rechts vom Motor noch zwei weitere. Alles muss in den linken Tank vorne laufen – allerdings ohne Pumpe, nur durch Schwerkraft und Bewegung während der Fahrt. Ich öffne also alle Tankdeckel und puste jeweils in die Tanks, um Druck aufzubauen. Fürchterliche Idee! Ich muss mich fast übergeben – gesund kann das nicht sein. Von Erfolg ist mein Einsatz nicht gekrönt, denn der Motor springt weiterhin nicht an. Mein erster Verdacht (oder vielleicht auch nur die Hoffnung) bleibt also bestehen: Sprit ist alle.

Ich latsche also die ganze Strecke zurück zur Straße und versuche, ein Auto anzuhalten. Am Anfang ziemlich enttäuschend – bestimmt zehn fahren einfach vorbei. Dann dreht eines wieder um: ein älteres Ehepaar. Sie erklären mir, dass sie keinen Ersatzbenzin dabei haben und auch nichts aus ihrem Tank bekommen könnten. Max am Telefon hilft mit Erklärung und Übersetzung. Die beiden fahren los – insgesamt 60 km Umweg – und wollen 5 l Benzin mitbringen. Dafür bekommen sie 30 €. Total fair, finde ich.

Sie kommen wieder – und haben 2 l Benzin dabei. Ich verstehe die Erklärung natürlich nicht. Max springt ein: Es wird an den Tankstellen kein Benzin in Einzelkanistern verkauft, weil man verhindern möchte, dass Leute das Benzin missbrauchen, um sich beispielsweise selbst anzuzünden. Das muss ich unbedingt noch mal recherchieren. Fürchterlich!

Da stehe ich nun – das Benzin im Tank, und der Motor springt partout weiterhin nicht an.

Ich habe mittlerweile eine ganze Gruppe an Helfern auf WeChat im Gespräch, die mir bei der Problemlösung unter die Arme greifen. Man bedenke: ich habe immer noch kein Werkzeug. Ich kann also – außer am Motorrad zu schütteln – nicht viel machen…

Auch scheitere ich wiederholt an dem Versuch, das Motorrad über die Sandfläche zu schieben. Es ist verflixt! Die Karre ist sehr handlich mit laufendem Motor. Ohne Motor reicht schon 10 cm tiefer Sand und aus dem Motorrad wird ein Schleppanker – es fühlt sich an, als würde ich versuchen eine massive Wand zu schieben.

So ausweglos, wie die Situation vor Ort erscheint, gibt es doch einen Lichtblick. Ein Abschleppwagen ist organisiert. Soweit, so gut. Eine Werkstatt wurde über die erste Gruppe identifiziert. Nicht so einfach, denn das Motorrad ist relativ unbekannt, und es braucht schon irgendwie fähige Leute, um überhaupt einen Lösungsansatz zu finden.

Was weiterhin ungeklärt ist: Wie wir den nunmehr als Schleppanker bezeichneten Bock aus dem Sand bekommen („die Kuh vom Eis zu kriegen“ passt in der Wüste nun wirklich nicht). Ich nehme mein Gepäck ab, lasse einiges an Luft aus den Reifen, damit die Maschine weniger wiegt und leichter auf dem Sand aufrollt. Ich trage mein Gepäck zur Straße und sehe am Ende des Schotterweges eine Person stehen. Und ich denke mir: Uii – der Abschleppfahrer ist schon da!

Der Typ weiß von nichts, ist aber ganz nett. Ich erkläre ihm alles, und als wir bei seinem Auto ankommen, klönen wir noch ein bisschen. Irgendwann zeige ich auf seine Anhängerkupplung und meine: Die wäre richtig klasse, um mein Motorrad aus dem Dreck zu ziehen.

Er sagt spontan: Dann lass uns mal hinfahren.

Ich protestiere (aus Höflichkeit) und sage, dass wir lieber auf den Abschleppwagen warten sollten – dann wären wir zu dritt. Er sagt nur: Wenn ich dir helfen soll, dann jetzt, weil ich muss los. Also sind wir zum Motorrad gefahren. Ganz in den Sand rein fährt er auch mit seinem riesigen Geländewagen nicht, sagt aber: zu zweit ist es ja überhaupt kein Problem, das Motorrad rauszuschieben.

Ich meine, ganz ehrlich: Der Mann ist Geschäftsmann, hat blitzblank saubere Schuhe und Klamotten an – und er ist sich nicht zu fein dafür, mit anzupacken. Wir schieben das Motorrad zusammen zum Auto. Ich muss schon die ganze Zeit einen nervösen Lachkrampf unterdrücken, weil ich mich so freue. Es ist erstaunlich, was solch eine große Portion an Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft emotional mit einem macht.

Und dann steht das Motorrad an der Straße als der Abschlepper kommt! Wahnsinn!!

Das mit der Werkstatt scheint nicht so einfach. Es geht einige Male hin und her, und letztendlich lande ich bei einem „Schrauber“, der sich als Offroad-Legende herausstellt und einen Rennstall mit zwölf Fahrern betreibt. Irgendwie finde ich diese Wendung des Tages jetzt schon wieder toll – diesen Menschen hätte ich sonst nie kennengelernt. Weil es mittlerweile schon spät ist, verschieben wir die Reparatur auf den Folgetag. Wir verabreden uns für 8:00 Uhr. Ich bin gespannt.

Der Betreiber des Abschleppunternehmens hat es sich zwischenzeitlich zur Aufgabe gemacht, mich komplett zu betreuen. Er fährt mich zu dem Hotel, das er selbst herausgesucht hat, und nimmt mich zwischendurch sogar noch mit zum Essen. Meine höflichen Proteste, das sei doch viel zu viel Aufwand für ihn und seine Familie warte sicher schon auf ihn, wischt er beiseite. Nicht einmal fürs Essen lässt er mich bezahlen.

Er bringt mich mit einer Wassermelone – quasi als Gute-Nacht-Geschenk – zum Hotelzimmer. Als ich die Tür schließe, sehe ich nur noch, wie er den Gang hinunter sprintet. Seine Familie hat vermutlich doch gewartet.

Es ist unfassbar, wie nett, aufgeschlossen und hilfsbereit die Leute mir hier begegnen – nicht nur einzelne Hirten … LOL.


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