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Spuren im Sand

Eigentlich wollte ich heute weiter in das 420 km entfernte Dunhuang. Mit meinem zeitlichen Vorsprung hätte ich dort allerdings drei Tage Aufenthalt, bevor Clemens mit seinem Motorrad ankommt. Gute 60 km von hier liegt ein Nationalpark, der durch eine recht unwirkliche Wüstenlandschaft führt.

Der Park wurde mir gestern beim Check-in im Hotel von einem anderen Gast empfohlen. Die Landschaft erinnert auf seinen Bildern an Landschaften im Mittleren Westen der USA: ausgewaschene Sandsteinformationen mit vielschichtigen Ablagerungen und unterschiedlichen Farben. Der gesamte Park zieht sich von einem Tor zum anderen über 150 km. Man darf mit Fahrzeug rechts und links in die Landschaft fahren, wie es einem beliebt. Da man bei der Einfahrt registriert wird, fällt es auf, falls man nicht wieder herauskommt– ein kleines Sicherheitsschmankerl.

Insofern beschließe ich, aus dem Hotel auszuchecken, mir aber die Option für eine Rückkehr am Abend freizuhalten. Ich bin so heiß– heiß wie Frittenfett– aufs Fahren im Dreck, dass ich schon auf dem Weg zum Park neben der Straße auf einem der vielen parallel führenden Tracks fahre.

Kurz vor dem Park absolviere ich noch einen Polizeicheckpoint und werde bei meiner Ankunft im Touristenzentrum von einem anderen Motorradfahrer herbeigewunken. Chinesische Motorradfahrer stehen auf Gruppenfahrten. Insofern winkt mir der Kollege ohne weitere Kenntnis direkt zu und lädt mich ein, der Gruppe beizutreten. Sie sind zu dritt, alle fahren BMW-Motorräder. Ich nehme das freundliche Angebot an, und wir cruisen einige Kilometer zusammen durch die Gegend.

Alle drei haben keinerlei Ambitionen, neben der asphaltierten Straße zu fahren. Umso erstaunter sind sie, als ich bei erster Gelegenheit vom Asphalt abbiege und über den welligen Boden daneben heize. Es macht richtig Spaß. Die Landschaft ist wieder einmal fremd und schön.

Nach gut 120 km – ich bin bis dahin viel mit der Dreiergruppe auf der Straße gefahren– wechselt der Straßenbelag. Aus Asphalt wird eine mittlerweile zu einem Waschbrett zerfahrene Piste, die durch einen trockenen Flusslauf führt. Die Canyons sind tief und groß. Das Fahren ist aufgrund der Wellen extrem anstrengend. Ich probiere alle möglichen Geschwindigkeiten, um die widerspenstige Straße auszutricksen. Einigermaßen funktioniert es bei wahnwitziger Geschwindigkeit: dann berühren die Reifen immer nur knapp den nächsten kleinen Hügel und lassen die Wellentäler aus. Von Sicherheit kann man dabei aber nicht sprechen. Das ist eher kontrolliertes Vorwärtsfliegen…

Sicherheit geht vor, und deswegen drehe ich einfach um. Lieber fahre ich zurück zum Eingang und nutze alles, was neben der Straße liegt. Es wird toll. Ich fahre steile Hügel hinauf, durchquere trockene Seen und Flussläufe oder rolle einfach über viele Kilometer unberührte Wüste, immer parallel versetzt zur in Sichtweite liegenden Straße– man weiß ja nie, wann man Unterstützung brauchen könnte.

Erschöpft und zufrieden fahre ich zurück zu meinem Hotel. Das Zimmer hatte ich tags zuvor schon per Handy-App reserviert.

Okay, heute geht es los: gut 420 km durch die Wüste. Wüste heißt hier nicht nur Sand, sondern beschreibt einfach die fehlende Menge Wasser. Ich fahre durch felsige Gebirge, Steinwüsten, die für viele, viele Kilometer nur Geröll links und rechts der Straße zeigen.

Die Straße ist eine kleine Provinzstraße, wurde aber erst kürzlich neu asphaltiert. Der Zustand ist hervorragend. Was fehlt, ist Mobilfunkempfang. Und auch die vorgesehenen Versorgungspunkte (Raststätten und Tankstellen) sind noch nicht in Betrieb. Insofern startet man in diese doch recht lange Etappe, ohne weitere Unterstützung von außen erwarten zu können.

Es macht Spaß, es ist grandios. Viele LKW fahren hier. Ich sehe außerdem einige ausländische Motorradreisende– offenbar eine zentrale Route, die für Fahrten von Osteuropa nach Tibet genutzt wird. Mit einigen komme ich an einer Polizeikontrolle ins Gespräch. Ganz nette Leute.

Am Nachmittag beschließe ich, ein kurzes Nickerchen mit der obligatorischen Kaffeepause etwas abseits der Straße einzulegen. Alles wunderbar. Nachdem ich weiterfahre, stoppe ich kurz in einer Haltebucht, um ein Foto zu machen.

Bei der Weiterfahrt– ich fahre im Stehen, um etwas mehr Wind abzukriegen (es ist sehr warm)– merke ich in einer Kurve, dass mein Vorderreifen eine Unwucht hat. Ich überlege, wo ich dagegen- oder draufgefahren sein könnte. Während meiner Kaffeepause oder davor eigentlich nicht… danach auch nicht. Ich schaue mir das während der Fahrt von der Seite an. Die Fuge zwischen Reifen und Felge ist verdächtig groß. Es bleibt nur ein Schluss: Der Reifen verliert Luft.

Ich fahre langsamer, und es wird klar – der Reifen macht dicke Backen. Handyempfang gibt es keinen. Was für eine Scheiße. Riesengroße Scheiße!! Es sind noch 80 km bis zur Stadt und der nächsten Tankstelle.

Am nächsten Parkplatz sehe ich bei einer Polizeistreife stehend einen LKW. Ich frage den Fahrer, ob er Druckluft für meinen Vorderreifen hat. Er nickt nur und sagt: „Fahr mal rüber auf die andere Seite des LKW.“ Die neue Luft hält für genau fünf Kilometer. Danach ist der Reifen wieder platt.

Interessanterweise habe ich an einem Funkmast plötzlich Empfang. Jetzt bieten sich die altbekannten Optionen: Pannendienst rufen, selbst versuchen (ich habe ja Werkzeug), oder langsam die nun noch übrigen 70 km in die Stadt rollen.

Ich fahre relativ stabile Reifen für schweres Gelände. Die werden im Offroad ohnehin mit wenig Luft gefahren. Ich könnte es also schaffen – wenn die Reifen nicht zu heiß werden. Fahre ich mir allerdings den Reifen kaputt, ist die gemeinsame Weiterfahrt mit Clemens gefährdet. Eine schwere Entscheidung.

Ich beschließe, mit gut 30 km/h in die Stadt zu gondeln. Nicht unbedingt schön. Es ist extrem langweilig. Die vielen an mir vorbeirauschenden LKW sind auch keine großen Fans von Abstand. Zwischendurch halte ich immer wieder an und fühle mit der Hand nach der Temperatur des Reifens.

Am Ende schaffe ich es. Was für ein Tag. Eine Werkstatt habe ich für morgen noch nicht, aber das wird sich finden. Ich möchte ohnehin erst versuchen, selbst einen neuen Schlauch ins Vorderrad zu ziehen– kenne es doch bislang nur aus Beobachtung und von YouTube. LOL.


On the RoadFr., 12.09.Sa.,13.09.
Strecke 322 km (blau)410 km (gelb)
Zeit insgesamt8 h 43 min
Zeit in Bewegung7 h 26 min
Ø-Geschwindigkeit36 km/h55 km/h
Höhenmeter bergauf990 m2.322 m
Höhenmeter bergab987 m1.954 m
Höchster Punkt845 m1.923 m
Tiefster Punkt0 m564m
HöhenprofilHöhenprofil

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2 Kommentare

  1. Avatar-Foto
    Sybille

    Also die Tour im Park ist ja spektakulär. Aber du lässt auch auf dem“ Seitenstreifen“ die anderen auf der Straße etwas alt aussehen. Ich bin mir nur nicht sicher, ob du etwas leichtsinnig da drüber bretterst, darf ich das so sagen. Immerhin hast du Spaß dabei, da darf man schon mal etwas „ausrasten“, ist ja alles gut gegangen. Glück gehabt. Bis zur Wüstenüberquerung. Und auch das hast du ja mit Bravour durchgezogen, trotz evtl. Bedenken und einsetzender Notlage. 💪🏼😘

    1. Avatar-Foto
      Micha

      Ja, darfst du 🙂 Das Motorrad hat aber noch viel Reserve und verzeiht daher etwaige Fahrfehler recht gutmütig. Und nach guten 10.000 km – bei 50kmh immerhin 200 Stunden – habe ich ein ganz gutes Gefühl für die Maschine entwickelt. Da kann man auch mal durchdrehen 😜.

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